Dienstag, 21.02.2017


Lesung mit T.C. Boyle

Egoland im Schlingerkurs

T.C. Boyle
T.C. Boyle, Foto: Jamieson Fry
Eine hermetisch unter einer Glaskuppel abgeschlossene „Mischmasch-Welt“ mit Galagos aus Afrika, mit Pfeiffröschen aus Puerto Rico, mit Anolis-Echsen aus Kuba, Ziegen, Schweinen, einem künstlichen Ozean – und Kakerlaken, die sich allerdings unbeabsichtigt angesiedelt haben, genau wie die Spatzen, die es weder in der Wüste Arizonas noch in Amerika geben dürfte. Das ist das Dschungelcamp, von dem T.C. Boyle in die „Die Terranauten“ erzählt. Der fast zeit-gleich in Amerika und Deutschland erschienene Roman ist eine bitterböse, höchst unterhaltende Persiflage des amerikanischen Pioniergeistes und eines ursprünglich seriösen wissenschaftlichen Versuchs, der zu einer grotesken Reality Show mutiert. T.C. Boyle liest in der Fabrik aus „Die Terranauten“. Den deutschen Text liest Franziska Hartmann. Moderation: Jan Ehlert.

Das Vorbild für „Die Terranauten“ ist heute ein touristischer Hotspot, von dem immer mal wieder in Reportagen berichtet wird: Ende der 1980er Jahre entstand nördlich von Tucson, in der Wüste Arizonas, ein futuristischer Gebäude-komplex, in dem ein von der Außenwelt unabhängiges Ökosystem angesiedelt wurde. Das von einem amerikanischen Milliardär finanzierte Projekt sollte beweisen, dass es möglich ist, ein geschlossenes Ökosystem in einer feindlichen Umwelt aufrecht zu erhalten. Sogar die NASA erhofft e sich Erkenntnisse für mögliche Basen auf dem Mond oder dem Mars. Und die gab es dann auch, nur etwas anders als erwartet: Eine Crew mit acht Mitgliedern kämpft e zwei Jahre mit einer ganzen Reihe größter Probleme, angefangen bei der Versorgung mit Lebensmitteln, über aussterbende Tier-arten bis zu mangelhaft er Sauerstoffversorgung. Schon nach fünf Monaten schnitt sich ein Crewmitglied eine Fingerkuppe ab und verließ die „Biosphäre“ zur Behandlung. An dieser Stelle setzt T.C. Boyles fiktionale Handlung ein: Nachdem die erste Mission nach kurzer Zeit auf Hilfe von außen angewiesen war, schickt er eine zweite Crew unter die Glaskuppel, die unter allen Umständen für zwei Jahre autark bleiben soll. Nichts rein, nichts raus, das ist das Motto der Mission.

Ein zentrales Problem der realen „Biosphäre“-Crew, das es oft unter kleinen, isolierten Gruppen gibt, bestimmt jedoch auch die Mission 2: Missgunst, Neid und Streit. „L‘ Enfer c‘est les autres“ („Die Hölle, das sind die anderen“) zitiert T.C. Boyle zum Auftakt von „Die Terranauten“ aus „Geschlossene Gesellschaft “ von Jean-Paul Sartre, und tatsächlich stehen die Terranauten, ihre Hybris und vor allem ihre Eitelkeit und Geltungssucht im Vordergrund des Geschehens. Das Projekt heißt im Roman „Ecosphere 2“, es soll über 100 Jahre fortgesetzt werden, mit Besatzungen, die sich im Zweijahresrhythmus abwechseln. Das ist die großspurige Vision von Jeremiah Reed, den alle nur „Gottvater“, bzw. kurz „GV“ nennen, und der sich als souveräner Leiter eines Experimentes im Dienst der Menschheit verkauft . In Wahrheit ist dieser „Gottvater“ ein Egomane, Kontrollfreak und tüchtiger Geschäftsmann, der ein furioses Medienspektakel inszeniert, das sich glänzend vermarkten lässt. Entscheidend bei der Auswahl seiner Crew-Mitglieder ist die Fähigkeit, sich vor der Kamera dar-zustellen – und bei dem von Mission Control verordneten Nacktbaden eine gute Figur zu machen. Das weiß auch die Nutztierwärterin Dawn Chapman, die im Wechsel mit dem Leiter des Bereichs Wassermanagement und Kommunikationsoffizier Ramsay Roothoorp und der gescheiterten Kandidatin Linda Ryu von dem Projekt erzählt. Dennoch ist sie beseelt vom Glauben an die große Mission.

„Wenn es zehn Gottväter gegeben hätte, zehn Milliardäre, die bereit gewesen wären, ihre Brieftaschen zu zücken, hätten wir zehn weitere Ökosphären bauen, mit allen möglichen Biota bestücken und zusehen können, wie die Ökosysteme ein Gleichgewicht finden. Oder auch nicht.“ Während sich draußen vor den Glasfronten von „Ecosphere“ immer mehr Touristen drängen, Fernsehteams filmen, als sei es eine Reality-Show, werden die zunehmenden Konflikte im Inneren sorgfältig von „Gottvater“ und der Crew geheim gehalten. Der großspurige Traum der Gründung einer schönen neuen Welt erweist sich bald als bloßer Schein, als Glanz und Gloria einer im Kern infantilen Gesellschaft , die von ihrer Umwelt radikal in die Knie gezwungen wird und trotzdem unfähig bleibt, einen Gemeinschaftssinn zu entwickeln. Jeder versucht, für sich selbst das Beste herauszuschlagen – und scheitert dabei dann auch für sich selbst. Am Ende bleibt in diesem Illusionstheater der große Kollaps dennoch aus, die Menschheit überlebt, Eve wird geboren, und es beginnt alles von vorn.
T.C. Boyle zielt mit seiner Medien- und Gesellschaftssatire meisterhaft ins dunkle Herz der amerikanischen Gesellschaft der Gegenwart und entlässt seine Leserinnen und Leser am Ende dann doch mit einer eher trivialen Einsicht über den Schlingerkurs, in dem sich die USA befinden: The show must go on.

NDR Kultur und Literaturhaus Hamburg in der Fabrik, Barnerstr. 36, 19.30 Uhr, 14.-/10.- Euro.


T.C. Boyle



Jüdischer Salon

„Notre Dame de Dada“

Sie war eine der renommiertesten Journalistinnen der Weimarer Republik, als Muse der Dadaisten und Surrealisten ist sie in der Kunstwelt in Erinnerung geblieben: Luise Straus-Ernst. Eva Weissweiler hat die Lebenspuren der 1893 als Tochter einer jüdischen Fabrikantenfamilie geborenen Kunsthistorikerin, Schriftstellerin und Journalistinnen nachrecherchiert. In ihrer Biographie „Notre Dame de Dada“ (Kiepenheuer & Witsch) erzählt sie vom „dramatischen Leben der ersten Frau von Max Ernst“. Zum Jüdischen Salon stellt Eva Weissweiler ihr Buch vor.

Sie heirateten auf erbitterten Widerstand ihrer Familien in einer Kriegstrauung 1918: Max Ernst, der sein Studium abgebrochen hatte, um Maler zu werden und freiwillig in den Krieg gezogen war, und die hochbegabte Luise Straus. Die erste Frau des großen surrealistischen Malers, tat als eine der ersten Kunsthistorikerinnen ihrer Generation viel für die Förderung seines Œuvres und die Kölner Dada-Bewegung. In ihrer Wohnung verkehrten Paul Klee, André Breton, Paul Eluard und Tristan Tzara. Ihre Ehe mit Max Ernst hielt jedoch nur wenige Jahre. Ihn zog es hinaus nach Paris, während sie mit Sohn Jimmy in Köln blieb. Doch auch sie musste bald fort, weil sie Jüdin war. 1933 emigrierte Luise Strauss-Ernst nach Paris. Sie glaubte nicht an den Sieg des Hitler-Regimes, versteckte sich in einem Hotel in der Provence, wo sie ihre Autobiografie „Nomadengut“ schrieb. Ein kurz vor dem Einmarsch der Deutschen eintreffendes Ausreisevisum für das „Ehepaar Ernst“ wurde unter mysteriösen Umständen für ungültig erklärt. Luise Straus-Ernst blieb in Frankreich und wurde 1944 mit einem der

Jüdischer Salon im Café Leonar, Grindelhof 59, 20.00 Uhr, 10.-/7.50 Euro.


Lesung

„Der Käs im Grippte“

Drei „hessisches Wahlhamburger“ treffen sich zum „Weihnachtsbembeln“ und um Geschichten vorzulesen. Teilweise in Mundart, manchmal noch unverständlicher, immer aber mit dem allseits bekannten bissigen Hessen-Humor. Es lesen: Thomas Nast, Bronco Butzbach und Ina Bruchlos.

Mathilde Bar Ottensen, Kleine Rainstr. 11, 20.15 Uhr, 5.- Euro.


Lesung

„Jägerschlacht“

Offener Poetry Slam. Lesezeit: 5 Minuten. Lesen kann, wer sich kurz vor der Veranstaltung in die Leseliste eintragen lässt. Moderation: Hinnerk Köhn.

Kampf der Künste, Grüner Jäger, Neuer Pferdemarkt 36, 20.30 Uhr, 4.- Euro.


Literatur in Hamburg