Dienstag, 25.10.2016


Lesung mit Christian Kracht

Kosmologie des schaurigen Scheins

Christian Kracht
Christian Kracht, Foto: Frauke Finsterwalder
Bei keinem anderen deutschsprachigen Schriftsteller ist der Blick auf das Werk von einer so geheimnissatt lumineszierenden Aura aufgeladen wie bei Christian Kracht. Er wurde als Popliterat gefeiert, als arroganter Schnösel gescholten und ist tatsächlich ein überaus erfolgreicher Publizist und weltgewandter Dandy, der nach Stationen u.a. in Neu Delhi, Bangkok und Kathmandu heute in Los Angeles lebt. Mit seinem neuen Roman „Die Toten“ (Kiepenheuer & Witch), einer fährtenreichen Historien-Harakiri-Hollywood-Geschichte, die in der Filmindustrie zur Zeit des heraufdämmernden Faschismus spielt, hat er den Literaturbetrieb in helle Aufregung versetzt. Im Schauspielhaus stellt Christian Kracht seinen Roman vor.

Am Anfang steht ein Buch, so ist das gewöhnlich. Bei Christian Kracht ist es etwas anders: Die Buchpremiere seines letzten Romans musste er absagen, weil ihm ein paar Tage vor Erscheinen von „Imperium“ der Vorwurf ein „Türsteher der rechten Gedanken“ („SpiegelOnline“) zu sein entgegen krachte, der dann landauf und landab kommentiert wurde. Dabei ist der Roman über einen Aussteiger, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutsch-Neuguinea eine Kokosplantage betreibt, wie es fast unisono hieß, eine sehr geistreiche und auch komische Studie über die Zerbrechlichkeit und Vermessenheit menschlichen Handelns. Solche Missverständnisse eilten dem neuen Roman nicht voraus und doch stand, noch bevor „Die Toten“ erschien, erneut der Autor im Rampenlicht: Dennis Scheck hat sich zum Interview in den Hollywood Hills mit Kracht getroffen, wo das Finale des Romans spielt. Kracht lässt im üblichen Tweedsakko wissen, dass er die Literatur nicht für ein „Organ der Weltverbesserung“ hält und bleibt sonst gewohnt freundlich und eher einsilbig. Einen „Roman, der für die Literatur das bedeutet, was der Tonfilm für den Film bedeutete, eine Revolution“ empfiehlt abschließend Dennis Scheck. Es blieb nicht die einzige Eloge, mit der dieser Roman vorab gefeiert wurde.
Was ist so ungewöhnlich und wegweisend an „Die Toten“? Die Erzählperspektive ist denkbar konventionell, ein allwissender Erzähler berichtet von einer verrückten Geschichte, die sich um 1933 zuträgt, als der Tonfilm sich anschickt die Welt zu erobern: Masahiko Amakasu, ein japanischer Kulturbeamter, hochbegabt und tief beschädigt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem „allmächtig erscheinenden US-amerikanischen Kulturimperialismus entgegenzuarbeiten“. Er wendet sich hilfesuchend an deutsche Fachleute zur Etablierung einer „zelluloiden Achse“ gegen Hollywood. Der Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli, den Tod seines Vaters betrauernd, depressiv und neurotisch, reist schließlich mit dem Plan nach Japan, einen „Schauerfilm“ für die UFA zu drehen, obwohl er dafür einen faustischen Pakt mit dem Medienunternehmer und Nazi Alfred Hugenberg eingehen muss. In Japan trifft er Amakasu und seine Verlobte, die Schauspielerin Ida. Der Film, den er dreht, heißt am Ende „Die Toten“, so wie der Roman von Christian Kracht.
Im ersten Teil erfahren wir die Lebensgeschichten von Nägeli und Amadasu. Um die beiden Hauptfiguren herum gruppiert sich schließlich ein prominentes Figurentableau. Dazu gehören die beiden Filmkritiker und –historiker Siegfried Kracauer und Lotte Eisner ebenso wie Charly Chaplin, Heinz Rühmann oder Ernst Hanfstaengl. Mit einem ganzen Apparat spielerischer Verweise werden zudem bis ins adjektivreiche, weit ausmäandernde Satzgefüge hinein die „eichendorffschen Geheimnisse“ und „hölderlinschen Zonen“ in einem der Zeitenwende entgegen „zitternden Europa“ beschworen. Manchmal ist das hellsichtig, manchmal komisch, manchmal auch albern und manchmal geht es in die Hose, etwa wenn „ungezählte Hakenkreuzfahnen“ an den „Fassaden Berlins hängen, wie geistlose Schwalben“.
Die Dramaturgie des Romans folgt der Trias jo-ha-kiu des japanischen Nō-Theaters, doch auch das ist am Ende nur ein Echo im Kanon der vielen Verweise, denen man folgen kann oder nicht, entscheidend bleibt, dass Christian Kracht – entgegen den verbreiteten Rezepten der Literatur der westlichen Welt – einem experimentellen Ansatz folgt. Große Themen werden in „Die Toten“ aufgeworfen, es geht um Technik und Kunst, Bildsprache und Verantwortung, die Zumutungen der Vergänglichkeit und vor allem auch die Enttäuschungen, mit denen wir leben müssen, weil wir, sobald wir in einem ekstatischen Augenblick, „jenen Zeitschleier durchbrechen, der uns Sterbliche daran hindert, die Kosmologie unseres Seins zu erfassen“, sehr schnell wieder mit der Kosmologie des schaurigen Scheins konfrontiert und also desillusioniert sind. Im intertextuellen Großraum, den Kracht für seinen Roman direkt an der Abbruchkante der Moderne installiert hat, blendet man das leicht immer wieder für einen Moment aus, bevor das Lächeln wieder einfriert. Antworten gibt dieser Roman natürlich nicht. Aber man wird am Schluss mit immerhin zwölf leeren Seiten belohnt - für all die bleibenden Fragen.

Christian Kracht liest aus seinem neuen Roman.

Buchhandlung Heymann und Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, 20.00 Uhr, 15.-/9.- Euro.


Jüdischer Salon

„Wir sind alle im Exil“

Norman Manea präsentiert im Gespräch mit Friederike Heimann seinen im letzten Jahr erschienenen Essayband und erzählt aus seinem Leben. Manea, der 1936 in der Bukowina geboren wurde und seit 1986 als Schriftsteller und Profes-sor für Europäische Kulturstudien am Bard College in New York im Exil lebt, hat die Widersprüche eines Lebens zwischen Ost und West und die Frage nach der jüdischen Identität nicht nur in seinem literarischen Werk verarbeitet, sondern auch fortlaufend essayistisch kommentiert. Am Beispiel seiner eigenen Erfahrun¬gen und der Auseinandersetzung mit Werken anderer Autoren beschreibt er in seinem Buch den Zusammenhang von Exil, Sprache und Schreiben.

Jüdischer Salon im Café Leonar, Grindelhof 59, 20.00 Uhr, 10.-/7,50 Euro.


Lesung mit David Precht

„Tiere denken“

Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht liest aus seinem neuen Buch, in dem er das Recht der Tiere und das der Menschen unter die Lupe nimmt. Precht schlägt einen großen Bogen von der Evolution und Verhaltensfor¬schung über Religion und Philosophie bis zur Rechtsprechung und zu unserem Verhalten im Alltag. Dürfen wir Tiere jagen und essen, sie in Käfige sperren und für Experimente benutzen? Am Ende dieses Streifzugs steht eine aufrüttelnde Bilanz. Moderation: Kester Schlenz.

Buchhandlung Heymann auf Kampnagel, K6, Jarrestraße 20, 20.00 Uhr, 16.- Euro.


Literatur und Musik

„Der Klang der Wut“

Der weltweit erfolgreiche Konzertpianist James Rhodes präsentiert in einer musikalischen Lesung seine Autobiografie.

Kampnagel, Jarrestr. 20, 20.00 Uhr, VVK 36.- Euro. AK 39.- Euro.


„Schwanenwik goes Schulterblatt“

„Familie der geflügelten Tiger“

Im Rahmen der Reihe „Schwanenwik goes Schulterblatt“ stehen zwei tolle Romandebüts auf dem Programm: Paula Fürstenberg liest aus „Familie der geflügelten Tiger“ (Kiepenheuer & Witsch), in dem sie von einer Spurensuche nach der eigenen Kindheit in der DDR erzählt. Philipp Winkler liest aus seinem für den Deutschen Buchpreis nominierten Debüt „Hool“ (Aufbau Verlag), das einen Blick in die Hooligan-Szene wirft. Moderation: Antje Flemming.

Literaturhaus im Kulturhaus 73, Schulterblatt 73, 19.00 Uhr, 10.-/6.- Euro.


Lesung und Gespräch

„Vergewaltigung“

Die Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Journalistin Dr. Mithu Sanyal liest aus ihrem in der Edition Nautilus neu erschienenen Buch über „Vergewaltigung“. Es handelt sich um eine grundlegende Studie zu einem Thema, an dem sich die Haltung der gesamten Gesellschaft zu Geschlecht, Sexualität und Verletz¬barkeit ablesen lässt.

Frauenbildungszentrum Denk(t)räume, Buchhandlung Osterstraße, Osterstr. 171, 20.00 Uhr, 5.- Euro.


Lesung

„Arabischer Kulturabend“

Peter Schütt liest westöstliche Liebesgedichte aus seinem Zyklus „Altwei¬bersommernachtstraum“, Dr. Mohammed Khalifa liest arabische Gedichte auf Arabisch und in deutscher Übersetzung. Musik macht die Shibly Band.

Hamburger Öffentliche Bücherhallen, Zentralbibliothek, Hühnerposten 1, 19.00 bis 21.00 Uhr, Eintritt frei.


Poetry Slam

„Hamburg ist Slamburg“

Prosa & Poetry, Kunst & Karriere, Trophäen und Groupies für siegreiche Poeten, all das gibt es beim Slamburg-Slam. Lesezeit: 5 Minuten. Das Publikum kürt die besten Texte. Wie immer mit Oden, Tiraden, Special Guests und Musik von DJ Blume. Moderation: Hartmut Pospiech und Tina Uebel.

Nochtspeicher. Bernhard-Nocht-Str. 69a, 20.00 Uhr, 5.50 Euro. (Wer vorlesen möchte, meldet sich unter an.)


Vortrag

„Kapitalismus als imaginierte Zukunft“

Vortrag von Prof. Dr. Jens Beckert über die „Bedeutung fiktionaler Erwartungen für die Dynamik der Wirtschaft“.

Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36, 19.00 Uhr, Eintritt frei.

Literatur in Hamburg