Matthias Polityckis neuer Roman »Das kann uns keiner nehmen«

Viel Sonne, große Untergänge und ein King of Fulalu

Matthias Politycki
Matthias Politycki, Foto: Mathias Bothor
Zwei ältere, weiße Männer, beide etwas verschrobene Sonderlinge, wenn nicht schon ganz aus der Zeit gefallen, so doch jeder auf seine Weise gefangen im privaten Blues von in die Jahre gekommenen, durchaus tragischen Lebensgeschichten. Das sind die auf den ersten Blick nicht sehr attraktiven Helden. Doch gerade in diesem Understatement steckt der Zündfunke für eine große Komödie. Matthias Politycki erzählt sie in seinem neuen Roman »Das kann uns keiner nehmen« (Hoffmann und Campe) in einem mitreißenden Sound und schlägt mit seinen Helden dabei immer neue Kapriolen. Fast beiläufig rockt dieser Roman aber auch ein zentrales, gesellschaftspolitisches Thema unserer Zeit.

Als Hans sich nach einem langen mit anderen Touristen endlich allein mit seinem Führer auf dem Weg in den Kibo-Krater des Kilimandscharo-Massivs im Nordosten von Tansania befindet, hofft er auf eine einsame Kraternacht. Sie soll ihn nach Jahrzehnten endlich ein für allemal von einem großes Liebesversagen befreien, das ihm bei einer Afrikareise mit seiner damaligen Verlobten wiederfahren ist. Doch dann steht der weltoffene und feinsinnige Hamburger einem »Kerl« gegenüber, der ihn mit einem kernigen »lecko mio« im Krater begrüßt, ihn sogleich »Hornbrillenwürschtl« und wegen des um seinen Kopf gewickelten Tuchs »Windelhansi« nennt. Auch sonst nimmt dieser Tscharli aus Miesbach in Oberbayern, wie sich schnell herausstellt, kein Blatt vor den Mund, obwohl oder vielleicht auch, weil er selbst eher eine halbe Portion ist.

Seine Sprache, sein Verhalten, seine Ansichten, so ziemlich alles an diesem Tscharli ist mindestens ein Affront und strenggenommen viel schlimmer, wie Hans später einmal feststellt. Will man mit so einem befreundet sein? Bestimmt nicht. Dennoch werden die gemeinsame Nacht im Krater und ein rasanter Abstieg zum Ausgangspunkt einer Grand Tour der beiden Helden. Sie ist gespickt mit absurden Begegnungen und aberwitzigen Abenteuern, für die vor allem der charismatische Tscharli sorgt. Der allseits bekannte »King of Fulalu«, »Mister Bombastic« und »Big Simba« dreht eine Abschiedsrunde durch sein Afrika und will es dabei nochmal so richtig krachen lassen, schließlich weiß er nur zu genau: »Wo’s viel Sonne gibt, gibt’s etwas später große Untergänge«.

Über alle weltanschaulichen Gegensätze, dieses Geflecht aus Meinungen und Verortungen hinweg, das die Gesellschaften der westlichen Welt derzeit spaltet, entwickelt sich zwischen Hans und Tscharli eine tiefe Freundschaft. Dass dafür so manches allzu menschliche Vorurteil auf den Prüfstand muss, versteht sich von selbst, wird aber immer nebensächlicher. Was den beiden Helden keiner nehmen kann und sie am Ende zusammenschweißt, ist die Erfahrung einer großen und doch tragischen Liebe. Für sie finden Hans und Tscharli in ihrer Begegnung zum ersten Mal die richtigen Worte, und ihr Leben justiert sich in einem größeren Horizont befreiend neu.

Das Video zum Buch



Matthias Politycki, »Das kann uns keiner nehmen«, Hoffmann und Campe, € 16,99

03.03.2020 | Jürgen Abel