Mittwoch 18.04.2018


Lesung mit Margriet de Moor

Urlandschaft mit verlorenen Seelen

Margriet de Moor
Margriet de Moor, Foto: Maria Nefjes
Man kann Margriet de Moors neuen Roman »Von Vögeln und Menschen« wie eine kriminologische Ermittlung lesen und sich dabei von Höhepunkt zu Höhepunkt der dramaturgisch genau getakteten, sehr spannenden Geschichte tragen lassen. Während vordergründig von einem Mord erzählt wird, der eine kaum fassbare Verstrickung nach sich zieht, toben im Hintergrund des vermeintlich leichten Kammerspiels große Gefühle, es geht um Sehnsucht und Liebe, um Schutz und Geborgenheit, Hass und Gewalt, Wut und Vergeltung. Die existentiellen Fragen, die Margriet de Moor, eine der großen und weltweit übersetzten Autorinnen der Gegenwartsliteratur, aufwirft, begleiten ihren Roman wie eine verwunschene Melodie, die alles bestimmt und doch kaum hörbar ist. Margriet de Moor stellt ihren Roman zum Auftakt der vom Stromnetz Hamburg und dem Literaturhaus zum zweiten Mal veranstalteten Frühjahrslesetage vor.

Der Flughafen Schiphol ist ein Traumreich für Vögel. Die sechs Start- und Landebahnen befinden sich in einer von Wassergräben und Äckern durchzogenen, menschenleeren Prärie, einer Urlandschaft, in der sich Brachvögel und Graugänse, Stockenten, Trauerelstern, Falken, Eulen und Möwen in Scharen und nicht im geringsten beeindruckt vom Flugzeuglärm herumtreiben. Ein Experte in der Vergrämung der Tiere ist der Vogelliebhaber Rinus. Seiner geliebten Frau Marie Lina schickt er eines Tages einen Wellensittich ins Gefängnis, der dort lernt »Gute Nacht« zu sagen und zu schnarchen. Ihr gemeinsamer Sohn Olivier begleitet ihn immer wieder zur Arbeit auf den Flughafen und wird sonst oft von seiner Tante Hortense betreut, seit seine Mutter eine Gefängnisstrafe absitzt. Sie hat in rasender Wut eine alte Frau erschlagen. Der Roman beginnt damit, dass die Polizei in das Familienidyll in der Mozartstraat einbricht. Marie Lina, Oberschwester auf einer Intensivstation, wird im Schlafzimmer von der Polizei überrascht, wo sie friedlich und glücklich neben Rinus im Bett liegt. Dass es Mord war und sie keinerlei Reue empfindet, wird sie den Polizisten später sagen, dass sie »sehnlichst, mit einem erschreckend köstlichen Verlangen physische Gewalt antun, genau gesagt: sie töten« wollte. Sie, das ist die Fußpflegerin Klazien Wroude, die Marie Lina und ihre Mutter Louise vor vielen Jahren durch einen skrupellosen, nie vollständig aufgeklärten Gewaltakt in eine jahrzehntelange, unheilvolle Beziehung bringt. Margriet de Moor fächert in »Von Vögeln und Menschen« Stück für Stück dieser abgründigen Geschichte auf, die sehr unaufgeregt in den Alltag einer ganz normalen Familie eingebettet ist und in einen kathartischen Racheakt mündet. Am Ende sitzen sie einträchtig und zivilisiert im Garten zusammen, auch Marie Lina ist wieder heimgekehrt in ihr durch und durch prächtiges Familienleben. Obwohl gleich nebenan etwas anderes zu Hause ist, das jederzeit hereinbrechen kann. Mit all seiner dunklen Macht.

Stromnetz Hamburg GmbH und Literaturhaus im Erika-Haus, Martinistr. 52, 19.30 Uhr, € 12,–/8,–





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