Donnerstag 07.02.2019


HAM.LIT

Lange Nacht junger Literatur und Musik

Dorit Jakobs
Dorit Jakobs, Foto: Andreas Hornoff
Familiengeschichte und beklemmende Dystopie, Jahrhundertepos und fiktionale Biografie, Chronik, Miniatur und Gedicht – mit einer Grand Tour durch die junge Literatur, ihre Ausdrucksformen und Themen bespielt die HAM.LIT den Bunker in der Feldstraße. Mit dabei sind 15 Autor*innen, 3 Bands, Paul und Georg, die sich Sorgen wegen der Kapriolen des Wetters machen, Riva, ein perfekt funktionierender Mensch mit Millionen Fans, Dora, die an einer »petite hystérie« leidet, ein russischer Oligarch und ein unbesiegbarer Abenteurer, der Sachsen kaum je einmal verlassen musste, um die ganze Welt gesehen zu haben.

In Joseph Kürschners »Allgemeinem deutschen Litteratur-Kalender« wird Karl May 1896 als Übersetzer aus dem Arabischen, Türkischen, Persischen, Kurdischen und diversen Indianerdialekten angeführt, er selbst erklärte, dass er 1200 Sprachen und Dialekte sprechen würde und als Nachfolger Winnetous Befehlshaber der Apachen sei. Die Abenteuer- und Reiseromane, in denen Karl May von seinen Erlebnissen und ruhmreichen Taten erzählt, werden bis heute weltweit gelesen und haben eine Auflage von 200 Millionen Exemplaren erreicht. Doch tatsächlich hat dieser Abenteurer, der sich als Old Shatterhand feiern ließ, sein Sachsen nicht oft verlassen. Lange nachdem er seinen Orient-Zyklus abgeschlossen hatte, bereiste er in den Jahren 1899 und 1900 den Orient. In Philipp Schwenkes Roman »Das Flimmern der Wahrheit über der Wüste«, den man auch als fiktionale Biografie lesen kann, begegnen wir Karl May auf dieser Reise, die auf Tatsachen beruht. Und auf alternativen Tatsachen. Und auf Tatsachen, die auf jeden Fall wahrer sind als alles, was Karl May selbst je behauptet hat. Philipp Schwenke hat aus den Selbstüberhöhungen und der tatsächlichen Lebensgeschichte von Karl May einen spannenden Roman gesponnen, der ganz nah an den Abenteurer und seine »Silberbüchse« heranzoomt.

Auf ganz andere Weise geht auch Katharina Adler mit ihrem Roman »Ida« auf eine biografische Spurensuche. Die junge Autorin erzählt in ihrem an Geschichte und Geschichten reichen Debüt von ihrer Urgroßmutter Ida, die als Hysterikerin in Freuds »Fall Dora« berühmt wurde. Die große Geschichte bildet auch den Hintergrund des Szenarios, das Nino Haratischwili in ihrem neuen Roman »Die Katze und der General« entwirft. Es erstreckt sich von den 1990er Jahren bis 2016, im Zentrum steht ein Kriegsverbrechen, die Kulisse bilden der Verfall der Sowjetunion und das autoritäre Russland Putins. An der Peripherie des Kontinents, auf Teneriffa, der Insel des ewigen Frühlings, inszeniert Buchpreis-Gewinnerin Inger-Maria Mahlke ein multiperspektivisch erzähltes Familienepos in einem Jahrhundert der Umbrüche und Verwerfungen. »Archipel« sei ein »Lehrstück über das 20. Jahrhundert« (»Neue Zürcher Zeitung«), »radikal und manchmal unbequem zu lesen und hat doch größten Reiz« (Frankfurter Allgemeine Zeitung), urteilte die Kritik.

Ein Geheimtipp der HAM.LIT ist Yade Yasemin Önder, die ihre »Bulimieminiaturen« vorstellen wird, mit denen sie im Herbst den Open Mike-Wettbewerb in Berlin gewonnen hat. Und Musik gibt es natürlich auch: Zu Gast sind der Rapper Amewu aus Berlin, die in Hamburg lebende Dorit Jakobs mit ihrem Debütalbum »Im Aufruhr der Lethargie« und eine Band, deren Name »vorerst noch geheim bleiben« musste. Man darf also besonders gespannt sein, obwohl die HAM.LIT ja sowieso eines der großen Ereignisse im (Vor-)Lesejahr ist.

15 Autor*innen, 3 Bands, 1 Nacht, »HAM.LIT«, Uebel & Gefährlich, Feldstr. 66, 19.00 bis 23.00 Uhr, € 19,–/15,–





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