Donnerstag 21.02.2019


Vortrag und Gespräch

Houllebecqs Einmischungen




Im Herbst 2017 hat Michel Houllebecq angekündigt »seine Einlassungen in der Öffentlichkeit einzustellen«, nur ein letztes Interview wolle er seinem Lieblingsmagazin, dem »SPIEGEL« noch geben. Es wurde ein großes Interview, in dem Houllebecq sich als »Autor der totalen Schlaffheit« erklärte, ungeliebt von der Bourgeoisie, weil sie sich durch ihn mit zu viel Sex »besudelt« fühle, während ihn »die harte, eingefleischte Rechte« ablehne, weil er »ihre Heldenverehrung ganz und gar nicht teile«. Es hat nicht lange gedauert, bis Houllebecq zu seinem 60. oder 62. Geburtstag – dazu gibt es widersprüchliche Angaben - am 26. Februar 2018 wieder im Gespräch war, im April lief dann der Dokumentarfilm »Rester vivant: méthode« mit ihm und dem US-Sänger Iggy Pop in den französischen Kinos an. Und es gab erste Spekulationen über seinen neuen Roman, zu dessen Erscheinen Michel Houllebecq dann alle öffentliche Zurückhaltung aufgegeben und in der Januar-Ausgabe des »Harpers Magazine« einen Aufsatz veröffentlicht. Titel: »Donald Trump ist ein guter Präsident«. Julia Encke und Iris Radisch treffen sich in der Buchhandlung Boysen + Mauke im JohannisContor zum Gespräch über »Michel Houellebecq und sein Werk«.

Gleich im ersten Absatz seines Essays verkündet Michel Houllebecq dann, dass er Trump für einen »entsetzlichen Clown« hält und sich dennoch sardonisch über dessen Präsidentschaft freut, weil sie die Auflösung der Europäischen Union befeuert (»umso früher umso besser«) und die USA von ihrer Rolle als führende Macht der Welt befreit. Das sei, schreibt Houllebecq, für die Amerikaner nicht unbedingt eine schlechte und für den Rest der Welt eine gute Nachricht. Gregor Dotzauer stellte im »Tagesspiegel« fest, dass Houllebecqs Ausführungen »jede Menge dummes Zeug enthalten, das sich im Handumdrehen aushebeln ließe«. Noch 2016 hat Dotzauer Houllebecq nur als wirren »Zündler vom Dienst« gesehen, jetzt empfiehlt er offen mit den »spielerischen Provokationen« umzugehen. Es ist natürlich kein Zufall, dass dieses Essay im Vorfeld der Veröffentlichung von Michel Houllebecqs neuem Roman »Serotonin« erschienen ist. Julia Encke, die 2017 im Rowohlt Verlag das Portrait »Wer ist Michel Houellebecq?« veröffentlichte, hält ihn für »einen Provokateur, der regelmäßig Debatten auslöst, die weit über das Literarische hinausgehen«, die Literaturkritikerin Iris Radisch sieht in Houellebecq »den wichtigsten literarischen Diagnostiker unserer Gegenwart«. Doch in »Serotonin« hält er sich mit politischen Thesen dann doch sehr zurück. Houellebecq erzählt von einem Helden, der eines Tages alles auflöst: Beziehung, Arbeitsverhältnis, Wohnung. Und sich aus seinem Leben verabschiedet, um Bilanz zu ziehen. In der Erinnerung an die Frauen seines Lebens erkennt er, wann und wo er sich selbst verloren hat. Es ist ein »tieftrauriges Buch über die Liebe« (ARD Tagesthemen) und vor allem auch über unerfüllt bleibende männliche Vorstellungen von Sexualität. Das Programm kennt man von Michel Houellebecq schon aus anderen Romanen. Jürgen Ritte sieht »überhaupt keine Energie und überhaupt keine Kraft mehr in diesem Roman« (Deutschlandfunk), während die Kritik in Deutschland sonst fast einhellig begeistert ist: »Tritt ein, lieber Leser«, schreibt Romain Leick im »SPIEGEL«, »in die Düsternis des Abendlandes, und beginne die Reise ans Ende der Nacht.«

Buchhandlung Boysen + Mauke, Große Johannisstr. 19, 19.30 Uhr,
€ 12,–/8,–, Anmeldungen an a.wenzel@schweitzer-online.de





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