Mittwoch 19.02.2020


Lesung mit Herta Müller

»Im Heimweh ist ein blauer Saal«

Herta Müller
Herta Müller, Foto: Stephanie von Becker
»Ich brauchte jeden Tag dringend die Schönheit der Sätze«, erklärt Herta Müller in dem 2014 erschienenen Buch »Mein Vaterland war ein Apfelkern«, in dem sie erzählt, was sie zum Schreiben gebracht hat und von ihrem ungewöhnlichen Lebensweg. Er führt vom Kind deutscher Banater Schwaben, das in Rumänien Kühe hütet, bis zur weltweit bekannten Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin. Ein besonders eindringliches Zeugnis dafür, wie sehr ihr die Wörter und Sätze in ihrem Leben existenziellen Halt geben, sind Herta Müllers Gedichtcollagen. »Im Heimweh ist ein blauer Saal« heißt der im Hanser Verlag erschienene Sammelband mit neuen »Spielereien«, für die sie nicht mehr braucht als eine Schere, einen Klebestift und eine Wörtersammlung.

Begonnen hat Herta Müller mit ihren Collagen schon kurz nachdem sie 1987 nach Deutschland kam, in den Jahren darauf war sie viel unterwegs und ärgerte sich über »grässliche Ansichtskarten«, die sie nicht verschicken wollte. Sie kaufte weiße Karteikarten, eine Schere und einen Klebestift und begann, Fotos und Wörter auszuschneiden. Über die Jahre sind die Collagen von Herta Müller immer mehr ins Zentrum ihres Werkes gerückt. Eine umfangreiche Sammlung erschien schon 1993 unter dem Titel »Der Wächter nimmt seinen Kamm. Vom Weggehen und Ausscheren«. Das Grundprinzip ist bis heute gleich geblieben: Eine Bildcollage und eine Textcollage werden auf eine Postkarte arrangiert. Was dabei im Vordergrund steht, Bild oder Text, bleibt offen, auch wenn Herta Müller sich selbst nicht als bildende Künstlerin sieht. Doch ihre neuen Collagen folgen nicht nur einer strengen Anordnung von Bild und Text, sie sind auch bunt, jedes einzelne Wort ist anders gestaltet und hat dadurch ein besonderes Gewicht. Bei ihren ersten Collagen stand dagegen der Text stärker im Vordergrund, die Wörter wurden allesamt aus Zeitungen ausgeschnitten und dann zu Gedichten gruppiert: »Der Ort ist nicht gut / Er spricht nur eine Sprache / quadratisch / Brillen baumeln / zweimal / als Glockenschlag / - und Wind«. Als kompakte Schriftbilder fungieren nun ihre neuen Collagen, es reicht nicht, sie zu lesen, man muss sie betrachten können, erst darin erschließt sich ihr vieldeutiger Sinn. Im Schauspielhaus, wo sie zu Gast ist, wird Herta Müller ihren Collagenband »Im Heimweh ist ein blauer Schal« im Gespräch mit Ernest Wichner vorstellen – und aus dem autobiografischen Band »Mein Vaterland war ein Apfelkern« lesen.

Literaturhaus und Deutsches Schauspielhaus im Schauspielhaus, Kirchenallee 39, 20.00 Uhr, € 25,–/15,–





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