Donnerstag 01.12.2022


Lesung mit Katja Petrowskaja

»Das Foto schaute mich an«

Katja Petrowskaja
Katja Petrowskaja, Foto: Gunter Glücklich

Was kann uns ein Foto über die Welt und das Leben sagen? Seit 2015 hat die deutsch-ukrainische Schriftstellerin und Journalistin Katja Petrowskaja Foto-Kolumnen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht und damit ein eigenes Genre geschaffen. Die neu erschienene Sammlung der Kolumnen »Das Foto schaute mich an« (Bibliothek Suhrkamp) fügt sich zu einem großen Essay über Geschichte, Erinnerung und Vergegenwärtigung und kann gleichzeitig als Schule des Sehens gelesen werden.

Es gibt kein Vorwort und keine Erklärungen zum Einstieg, sondern lediglich den Titel und dann schaut es einen auch gleich schon an, das erste Foto dieses Bandes. Es zeigt einen »Bergmann vom Donbass«, dessen Gesicht vom Rauch einer Zigarette vernebelt ist, die er sich in den Mund geklemmt hat. Das Foto ist aus der Serie »Die Siege der Besiegten« der ukrainischen Schriftstellerin und Fotokünstlerin Yevgenia Belorusets, die 2014 bis 2017 entstanden ist, der Text von Katja Petrowskaja aus dem Jahr 2015. Er erzählt, wie das Bild den Blick der Betrachterin fesselt und sie über Monate verfolgt. Nach und nach sind wir mit Katja Petrowskaja so mittendrin in einem Kriegsschauplatz, obwohl sie ja eigentlich nur davon berichtet, wie wenig sie selbst von dieser Gegend weiß und was sie jetzt durch dieses Foto erfährt und erkennt.
Die meist den Texten vorangestellten Fotomotive des Bandes folgen keinem bestimmten Muster, sondern sind ein bunter Mix aus Kunstfotografie, historischen und privaten Aufnahmen. Zwei Fenster in einer Backsteinwand werden unter dem Titel »Das sind keine Fenster« zum Ausgangspunkt für die Erzählung von einem Antiterroreinsatz in Brüsssel, mit einer fliegenden »Babuschka« geht es direkt in den Himmel über dem Kaukasus, von einer schwarzen Wolke, einer Frau im Badeanzug und Zielen, die für den Betrachter unsichtbar bleiben müssen, handelt die biografische Impression »La Mama«, während das Foto eines Mädchens neben einem sowjetischen Milizionär direkt hineinführt in das politische Tauwetter Mitte der 1980er Jahre.
Krieg, Terror und Vertreibung sind ein Rezitativ in diesen Kolumnen, so wie die Verknüpfung von Zeitgeschichte mit Biografischem und einer Schule des Sehens mit der Suche nach einer beispielhaften Vergewisserung in der Beschreibung. In einem der schönsten Texte des Bandes »Was wir sehen« geht es um das Foto eines blinden Jungen und die Frage, ob Schönheit etwas ist, das man sehen kann –- »oder das Unsichtbare dahinter?« Die Frage beantwortet Katja Petrowskaja in ihren Kolumen zwar nicht, aber man erfährt, wie erfüllend es ist, wenn sich die Vorstellung, die wir uns machen, in einem Augenblick großer Wahrheit verdichtet.

Jüdischer Salon in der Aula der Talmud-Tora-Schule, Grindelhof 30, 19.30 Uhr, € 12,–/8,–/5,–





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