Donnerstag 02.02.2023


11 Autor:innen. 2 Musik-Acts. Eine lange Nacht

»HAM.LIT – Lange Nacht junger Literatur und Musik«

Behzad Karim Khani
Behzad Karim Khani stellt sein Debüt »Hund, Wolf, Schakal« bei HAM.LIT vor, Foto: Valerie Benner
Vom Aufbruch und vom Ankommen, vom Fremdsein und dem mächtigen Gefühl der Wut, die all jene umtreibt, die ausgeschlossen sind oder sich dafür halten. Von der Suche nach einem Ort, an dem Geborgenheit möglich ist, von Gewalt und der Liebe, von einem »Glückskleeblatt« am Hamburger Stadtrand, dem Wind in Berlin und einem falschen Krokodil. Von all dem erzählen auf einer Grand Tour durch die junge Literatur in einer langen Nacht 11 Autor:innen. Zu Gast bei der HAM.LIT sind u.a. Sirka Elspaß, Behzad Karim Khani, Martin Kordi?, Andreas Moster, Musa Okwonga und – mit Musik-Acts – »Nighseattle« und Hannes Wittmer.

Es ist fast zehn Jahre her, seit Maxim Biller der deutschen Gegenwartsliteratur in einem Artikel für »Die ZEIT« bescheinigte, sie sei »unglaublich langweilig«, die Feuilletons und Bücherregale würden von den »irrelevanten Sprachexperimenten der Retro-Avantgardisten« verstopft und von der »müden Innerlichkeitsprosa von Handke und Strauß«. Was ihm fehlte waren »lebendige literarische Stimmen von Migranten«, die sich nicht anpassen und »Wohlfühlpreise kassieren«, sondern den »romantischen Krähwinkel Deutschland« mit einer wütenden, einer widerständigen Literatur aufmischen. Auch schon vor zehn Jahren konnte man die Diagnose von Biller unter dem Label unterhaltende Provokation lesen und sie mit sehr lebendigen literarischen Stimmen widerlegen. Heute und mehrere Bestseller später ist eben diese migrantische oder postmigrantische Literatur, die Maxim Biller so vehement einforderte, längst ein Kraftzentrum der deutschen Gegenwartsliteratur. Bei der HAM.LIT zeigt sich das besonders in zwei vielgelobten Coming-of-Age-Romanen, aber auch in anderen Büchern, die in der langen Nacht vorgestellt werden.
Ein »spektakuläres Debüt« hat Hanser Berlin mit dem Roman »Hund, Wolf, Schakal« von Behzad Karim Khani im Programm. Der 1977 in Teheran geborene Autor kam 1986 nach Deutschland, studierte Medienwissenschaften und lebt heute in Berlin-Kreuzberg, wo er schreibt und die Lugosi-Bar betreibt. In seinem Roman erzählt er in schnellen Schnitten und einem ganz eigenen Sound eine furiose Gangstergeschichte, die im im Berliner Bezirk Neukölln spielt. Dort finden der elfjährige Saam und sein kleiner Bruder Nima mit ihrem Vater Jamshid ein neues zu Hause. Die vorangegangenen Ereignisse hat Karim Khani schnell durchbuchstabiert: In den Tumulten der iranischen Revolution wurde die Mutter in einem Gefängnis in Teheran hingerichtet, der kommunistische Vater verliert bei einem Anschlag ein Bein und wird mit einem Berufsverbot belegt. Nach der geglückten Flucht kommen die Jungs auch dank einer älteren Dame, Frau Winkler, die sie in Deutsch unterrichtet, schnell in Berlin an. Nima gelingt der Sprung auf ein Gymnasium, während Saam Anschluss im Milieu des arabisch dominierten Neukölln sucht.
Karim Khani erzählt in kurzen Kapiteln jeweils aus der Perspektive von Saam, Nima und Jamshid von den Ereignissen, wobei die kriminelle Karriere von Saam im Mittelpunkt steht. Der schmächtige Junge, der sich früh mit Goldkettchen und falscher Rolex schmückt, mutiert über die Stationen Hehler und Dealer zum Gangster und landet schließlich nach einem Raubüberfall für mehrere Jahre im Knast. Ausgestattet ist diese Geschichte mit den Insignien einer reinen Männerwelt, mit schnellen Autos und scharfen Waffen, mit beißenden Hunden, sich bekämpfenden Banden, mit Größenwahn und Allmachtsfantasien. Frauen kommen in diesem harten Roman, in dem stets eine sanfte Melancholie und Ironie mitschwingt, so gut wie gar nicht vor. In einer der komischen Szenen, von denen die gewaltvollen und tragischen Ereignisse flankiert werden, erzählt Karim Khani jedoch von einer Begegnung Nimas mit Frau Maybach, der Mutter seiner Freundin. Sie hilft ihm in einer peinlichen Situation des Kontrollverlustes aus der Bredouille, und es kommt zu einem Moment großer Intimität zwischen dem gutaussehenden jungen Mann und der wohlsituierten älteren Dame. Mit dieser kleinen Szene illustriert Karim Khani sehr treffend, wie die gesellschaftlichen Machtverhältnisse eingerichtet sind, wer hier wen kontrolliert und dass am Ende doch alle gefangen bleiben im eigenen gesellschaftlichen Umfeld.
Davon erzählt auch Martin Kordi? in seinem Roman »Jahre mit Martha«, der in der Literaturkritik als zarte Liebesgeschichte gefeiert wird, in der gleichzeitig alles gesagt wird, »was es über das ›Einwanderungsland Deutschland‹ zu sagen gäbe, all die Hierarchien, Schmerzen und Spuren, herrlich beiläufig und furchtlos zielgenau« (Lena Gorelik). Martin Kordi?, 1983 als Sohn bosnisch-kroatischer Einwanderer in Celle geboren, wurde schon für seinen Debütroman »Wie ich mir das Glück« vorstelle« hochgelobt, für »Jahre mit Martha« erhielt der in München lebende Schriftsteller und Lektor nun den Tukan-Preis der Stadt München und den Förderpreis des Bremer Literaturpreises 2023. In seinem Roman erzählt er von Željko, der von allen »Jimmy« genannt wird. Er ist fünfzehn Jahre alt, als er sich in die Professorin Martha verliebt, die all das besitzt, was Željko sich wünscht: Bücher, Bildung und Souveränität. Mit ihr besucht er zum ersten Mal ein Theater, und vor allem spricht sie so mit ihm, wie sonst niemand. Mit Marthas Liebe wächst Željkos Welt. Doch wo verlaufen die Grenzen zwischen Begehren und Ausbeutung? Welche Welt ist es, die er da betritt und wen lässt er dafür zurück?
Das ist eine Frage, die sich auch Musa Okwonga stellt. Der Absolvent der Elitebildungsanstalten Eton und Oxford, Musiker, Journalist und Schriftsteller erzählt in seinem autofiktionalen Roman »Es ging immer nur um Liebe« (mairisch) davon, wie er aus London nach Berlin zog und wie es war, dort als Person of Colour anzukommen. Den Roman kann man auch als »kleinen, charmanten Berlinreiseführer« (Deutschlandfunk) lesen, der ganz nonchalant ein persönliches Porträt der Stadt einfängt, dabei eher im Plauderton die Schwierigkeiten eines Neuanfangs verhandelt – und von der Suche nach einem Ort der Befreiung erzählt. Okwonga findet ihn schließlich in Uganda, aber auf ganz andere Weise als er es ursprünglich dachte.
In dem neuen Roman »Gute Menschen« der Hamburger Autorin Sigrid Behrens wird Migration schließlich zum Ausgangspunkt für ein Drama in einer bürgerlichen Familienidylle am Hamburger Stadtrand und für einen Aufbruch in eine ungewisse Zukunft. Diese Umkehrung der Verhältnisse zeigt, wie richtig die junge Lyrikerin Sirka Elspaß mit einer sehr direkten Botschaft liegen dürfte. Sie stellt zur HAM.LIT ihren neuen Gedichtband »Ich föhne mir meine Wimpern« vor, in dem eines der Gedichte mit der sehr direkten Aufforderung schließt: »lesen Sie den nächsten satz mehrmals«, und dann heißt es da: »niemand steht über den dingen / wir stehen alle mittendrin«

Uebel & Gefährlich, Feldstr. 66, 19.00 bis 23.30 Uhr, € 26,–/22,–






Literatur in Hamburg