Dienstag, 10.03.2020


Lesung mit Benjamin Maack

Wenn das Ich plötzlich verloren geht

Benjamin Maack
Benjamin Maack, Foto: Heike Steinweg, Suhrkamp Verlag
Sein zuletzt erschienener Erzählband »Monster« (2012) wurde gleich mehrfach für seine »wirklich brillanten Geschichten« (WDR) ausgezeichnet, 2013 erhielt er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt den 3sat-Preis für seinen Text »Wie man einen Käfer richtig fängt«, zuletzt wurde er 2016 mit dem Förderpreis zum Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet. Gleichzeitig kletterte Benjamin Maack als Journalist auf der Karriereleiter nach oben, bis er völlig unvermittelt gleich mehrere Gänge zurückschalten musste. Sein neues Buch »Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein« (Suhrkamp Verlag) erklärt, warum: Es ist das berührende Protokoll einer Depression, hoch poetisch und von stupender literarischer Raffinesse und Vielgestaltigkeit.

Am Anfang denkt er, dass er das jetzt eben »auch mal erlebt«: »Klinik, Medikamente, Therapie«, das übersetzt sich fast nahtlos in die Trias »erlebt, verstanden, überwunden«. So geht einem das bei diesem Buch auf den ersten Seiten auch als Leser. Man erfährt von einem irgendwie »interessanten Experiment« und davon, dass manches »noch ein ziemlicher Witz« war, man schmunzelt über dies und jenes und freut sich über das »Happy End«. Aber hey, war da nicht noch was? Richtig, es geht erst los. Dieses Protokoll setzt sich aus »Zweihundertzwanzig« Einträgen zusammen, die ein ganzes Spektrum literarischer Formen durchspielen: Erzählung, Prosa-Miniatur, konkrete Poesie, Gedicht, Witz, Szenisches und mehr. Benjamin Maack hat versucht, sein Befinden stets in eine adäquate literarische Ausdrucksform zu übersetzen und so einen grandiosen Formenreigen geschaffen. In einem »Disclaimer« warnt er zwar davor, dass »am Ende nicht alles gut« wird, aber wann wird es das schon? Völlig falsch liegt er, wenn er allen, die Geschichten mögen, empfiehlt, das Buch lieber wegzulegen, denn dieses Buch hat eine Geschichte: Es erzählt von einem, der sein Ich verliert und verzweifelt versucht, es zurückzugewinnen. Es erzählt von all den Medikamenten, die er deshalb einnimmt, aber auch von einer Eichhörnchenfamilie und Bienenstöcken, dem Versuch, Britney Spears abzupausen und dem Wunsch, sich selbst umzubringen, der ihm irgendwann »geradezu ranschmeißerisch poetisch« erscheint. Zum Glück überwiegen am Ende die lichteren Momente, und Benjamin Maack hat seine Notizen in eine Form bringen können, die sie über den Psychiatrie- und Krankenbericht und das persönliche Schicksal hinaus zu einem Ereignis machen. Sein Memoir ist ein Glanzlicht unter den Romanen und Erzählbänden, die das erschöpfte und handlungsunfähige Selbst in der Literatur thematisieren.

Buchhandlung Cohen & Dobernigg, Sternstr. 4, 20.30 Uhr, € 10,–


Lesung mit Michel Abdollahi

»Deutschland schafft mich ab«

Michel Abdollahi
Michel Abdollahi, Foto: Max Baier, Arian Henning
Michel Abdollahi ist nicht nur eine »Koryphäe« (»taz«) der Poetry Slam Szene, sondern man kann den studierten Juristen und Islamwissenschaftler gut und gerne als Mister Poetry Slam schlechthin bezeichnen, jedenfalls in Hamburg. Er hat die Veranstaltungsreihe »Kampf der Künste« gegründet und moderiert seit vielen Jahren die ganz großen Slams, ist inzwischen aber auch im Fernsehen präsent. 2016 wurde er mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, 2017 erhielt er den Gustaf-Gründgens-Preis. In den letzten Jahren hat Michel Abdollahi, der 1981 in Teheran geboren wurde, 1986 mit seiner Familie nach Deutschland kam und in Hamburg aufgewachsen ist, jedoch zunehmend unter einem gesellschaftlich Klima gelitten, das sich radikal veränderte. In seinem neuen Buch »Deutschland schafft mich ab« (Hoffmann und Campe) erzählt er, wie es ist, wenn man mit Hassmails und Morddrohungen leben muss und sich in einer Gesellschaft wiederfindet, in der rechtes Denken zunehmend für normal gehalten wird.

Von Deutschlands »Super-Vorzeige-Migrant« zum Hassobjekt der Rechten. Michel Abdollahi ist ein echter »Hamburger Jung« – so dachte er jedenfalls von sich. Bis die AfD in die Parlamente einzog und die gesellschaftliche Debatte radikal veränderte. Auf einmal sind Menschen mit schwarzen Haaren »Vergewaltiger« und »Kopftuchmädchen«, jeder Muslim ein »Bombenleger«. Zu Michel Abdollahis Entsetzen werden solche Aussagen auch noch von einem Großteil der Medien und der demokratischen Parteien diskutiert, was erst recht dazu führt, dass sich der Hass voll entlädt. »Deutschland schafft mich ab« ist ein erschütterndes Zeugnis einer Gesellschaft, für die rechtes Denken zunehmend normal wird, und in der Menschen mit Migrationshintergrund zu Hassobjekten geworden sind. »Abdollahi bringt das Herumgeeier auf den Punkt, in das viele Deutschen geraten, wenn sie versuchen zu begreifen, dass das Land in dem sie leben, sich geändert hat, und weiter ändern wird und muss.« (Süddeutsche Zeitung)

NDR Kultur »Der Norden liest« und Hoffmann und Campe Verlag im Rolf-Liebermann Studio, Oberstr. 120, 19.30 Uhr, € 10,–/8,–


Lesung mit Karl-Heinz Ott

»Hölderlins Geister«




Karl-Heinz Ott liest aus seinem Buch über den Dichter und Vorreiter der modernen Poesie Friedrich Hölderlin. Vor der Lesung zeigt der Kultursender »arte« den Film: »Friedrich Hölderlin: Dichter sein. Unbedingt!«, der in einer Montage aus Spielszenen und Aufnahmen von Originalschauplätzen die Einweisung Hölderlins in die Psychiatrie thematisiert und seine künstlerische Radikalisierung. Der Eintritt zu der Filmvorführung ist frei. Moderation: Anne-Dore Krohn.

Am Eingang des Tübinger Hölderlin-Turms stand jahrelang der Satz aufgesprüht: »Der Hölderlin isch et veruckt gwä!« Ein Verrückter? Ein Revolutionär? Schwäbischer Idylliker? Oder der Vorreiter aller modernen Poesie? Friedrich Hölderlin, der Mann im Turm, ist umkämpft wie kein zweiter deutscher Dichter. Im 19. Jahrhundert fast vergessen, im 20. Jahrhundert vom George-Kreis wiederentdeckt, von den 68ern als Revolutionär gefeiert: In seinem so witzigen wie gelehrten Essay zeigt Karl-Heinz Ott Hölderlin als großen Spiegel Deutschlands. Tübingen ist der Rahmen; dort hat der Dichter den größten Teil seines Lebens zugebracht, dort geistert er bis heute faszinierend umher.

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, Preview 18.30, € 10,–/8,–


Buchpräsentation

»Die drei Dimensionen der Freiheit«

Der englische Singer-Songwriter und Politasktivist William »Billy« Bragg liest aus seinem Buch mit einem »politischen Weckruf«.

Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Str. 69a, 20.00 Uhr


Vortrag und Gespräch

»Zwischen Träumen von Revolution und Demokratie«

Elke Ehlert und Stefan Stanjek sprechen über den linken Buchhandel im Grindelviertel zwischen 1970 und 1990.

Galerie Morgenland, Sillemstr. 79, 19.30 Uhr, Eintritt frei, Spende erbeten


Guter Rat

Buchsprechstunde

Wer alte oder seltene Drucke besitzt, reich illustriert oder schön gebunden, kann sich in der Staats- und Universitätsbibliothek darüber beraten lassen, wie man solche Buchschätze aufbewahrt und restauriert. In der Buchsprechstunde geben Experten guten Rat, der sonst bekanntlich teuer ist.

Staats- und Universitätsbibliothek, Von-Melle-Park, Handschriftenlesesaal, 1. Etage, ab 16.00 Uhr. Anmeldung erforderlich unter Tel. 040-42838-5857 oder per E-Mail an pr(at)sub.uni-hamburg.de

Literatur in Hamburg