Dienstag, 13.02.2018


Lesung mit Ute Frevert

Im Schlagschatten der Aufklärung




Scham empfinden wir in der Regel nur gegenüber anderen. Es ist diese Einbettung als soziale Emotion, die sie zu einer so wirkmächtigen Waffe macht. Denn auch wenn es den mittelalterlichen Schandpfahl nicht mehr gibt, sowohl im Rechtssystem als auch im täglichen Miteinander in Familien und mit Freunden, ist Beschämung auch heute alltäglich. In ihrer brillanten Studie »Politik der Demütigung« (S. Fischer Verlag) berichtet die Historikerin Ute Frevert von den Praktiken kollektiver Demütigung und Erniedrigung vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Sie stellt ihr Buch im Palais Esplanade (12.15 Uhr) und im Literaturhaus (19.00 Uhr) vor.

»Die Würde des Menschen ist unantastbar«, heißt im Artikel 1 des Grundgesetzes, und diese Würde zu schützen, »ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Dennoch leben wir heute keineswegs in einem »Arkadien des respektvollen, verständigungsorientierten, verletzungsfreien Umgangs der Menschen«, wie Ute Frevert erklärt. Auch wenn die europäischen Staaten fast ausnahmslos von Beschämung als Mittel der Machtausübung abgerückt sind, im Schlagschatten der Aufklärung sind inzwischen neue Formen der Entwürdigung entstanden. Und in den USA kann es den Bürger*innen schon passieren, dass sie ihr Vergehen an öffentlichen Plätzen auf Schildern ausstellen müssen. Auch Österreich marschiert mit seiner neuen stramm rechten Regierung wieder eifrig auf Beschämungspraktiken zu, wenn man propagiert, Asylbewerbern den Besitz von Smartphones und Bargeld zu verbieten. Bei uns ist es die Gesellschaft, die öffentlich beschämt, ob in TV-Sendungen oder im Internet. Wie Demütigungen in Szene gesetzt werden, ist dabei über Epochen und Kulturen hinweg erstaunlich gleich, obwohl sich die Schauplätze öffentlicher Beschämung verändert haben.

»Hamburger Mittagsgespräche« im Palais Esplanade, Esplanade 14–16, 12.15 bis 14.00 Uhr, € 5,– (inkl. Mittagsimbiss), Anmeldung unter: hamburg(at)akademie.nordkirche.de

»Philosophisches Café« im Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.00 Uhr, € 12,–/8,–


Lesung

»Das Alphabet meiner Familie«

Nina Sahm liest aus ihrem neuen Roman. Moderation: Katrin Bpunkt.

stories! Straßenbahnring 17, 19.30 Uhr. Reservierungen: anmeldungen@stories-hamburg.de


»Türsteherlesung«

»Zeit für Zorn«

Die Türmänner Henning, Intensiv-Dieter und Viktor lesen neue Stories.

Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Str. 69a, 19.30 Uhr, € 10,–


Lesung

»Liebe in Lissabon

Die Autorin und Reiseleiterin Annegret Heinold präsentiert ihr neues Buchprojekt.

Portugiesisch-Hanseatischen Gesellschaft und Kulturhaus Eppendorf im Kulturhaus Eppendorf, Julius-Reincke-Stieg 13 a, 19.30 Uhr, € 5,-


Lesung

»Das Dante-Projekt«

Rezitation des »Inferno« aus der »Göttlichen Komödie« von Dante und Erläuterungen von Franco Ricordi (auf Italienisch mit Übersetzung).

Istituto Italiano dCultura, Hansastr. 6, 19.00 Uhr, Eintritt frei. Anmeldung unter Tel.: 040-39999130 oder per E-Mail an iicamburgo(at)esteri.it.


»Chaosgala«

»Schund und Asche«

Moritz Neumeier und Till Reiners laden zur »Chaosgala«, einer Show »gegen die Unwissenheit, die einen befällt, wenn man sich fragt, was das hier alles eigentlich soll«.

Polittbüro, Steindamm 45, 20.00 Uhr, 15.-/10.- Euro.


Nachruf

„Plötzlich ein anderer Raum“

Der Hamburger Autor und Literaturveranstalter Rüdiger Käßner ist am 2. Februar nach langer Krankheit verstorben. Wir trauern um einen engagierten Mitstreiter und sehr geschätzten Kollegen, der eine Institution in der Hamburger Literatur war, ob als Autor, Veranstalter oder Multiplikator. Lange Zeit gehörten die Mails mit seinen Veranstaltungstipps für viele zum Alltag, in den letzten Jahren hat er sich dann auf das konzentriert, was ihm besonders am Herzen lag: die Weblesungen und seine Lesereihe „Harburger Auslese“. Für die Weblesungen, die der ausgebildete Fotograf und studierte Literaturwissenschaftler und Soziologe seit 20 Jahren im Auftrag der Behörde für Kultur und Medien veranstaltete, hat er im wöchentlichen Wechsel Podcasts mit Hamburger Autorinnen und Autoren produziert, anfangs noch als „Hamburger Literaturtelefon“. Das Archiv umfasst heute hunderte von Lesungen. Bei seiner Lesereihe „Harburger Auslese“ hatte der „Experte für literarische Qualität“ (Hamburger Abendblatt) in den letzten Jahren so ziemlich jede und jeden mit Rang und Namen in der Hamburger Szene zu Gast. Dass er selbst als Autor angetreten war, ging bei seinem Engagement für Literatur manchmal fast schon unter. 1995 hat er einen Förderpreis für Literatur der Hansestadt Hamburg erhalten, seine Erzählungen sind in Zeitschriften und Anthologien erschienen, und er hat seine Texte auch oft und gern vorgelesen. Texte, in denen „hinter der Verlorenheit der städtischen Alltagstristesse plötzlich ein anderer Raum aufschimmert, die polychrome Magie der Zweitwelt, das Stelldichein von neurotischen Obsessionen, Phantasie und jener Art Realität, die möglicherweise die wahrere ist“, wie sein Schriftstellerkollege Christoph Ernst einmal schrieb. Der letzte eigene Podcast von Rüdiger Käßner auf LiteraturinHamburg.de ist die Erzählung „Jazz“ aus dem vergangenen Herbst, ein Abschiedsgeschenk und ein Hinweis auf die Spuren, die wir hinterlassen.
Hier kam man sich „Jazz“ anhören: Rüdiger Käßner: Jazz »

Literatur in Hamburg