Montag, 02.12.2019


Jüdischer Salon mit Tomer Gardi

Scheherezade im neoliberalen Zeitalter

Tomer Gardi
Tomer Gardi, Foto: Shiraz-Grinbaum
Schon mit seinem ziemlich verrückten Debütroman »Broken German« begeisterte der in Berlin lebende Schriftsteller Tomer Gardi, der 1974 im Kibbuz Dan in Galiläa geboren wurde, Lesepublikum wie Kritik. Der Roman verstößt gegen alle Regeln und Konventionen der Sprache und entwickelt aus dem gebrochenen Deutsch eines Migranten eine Poetik, durch die ein Leben jenseits der Einheit von Sprache und Nation sichtbar und erfahrbar wird. Auch sein neuer Roman »Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück« ist ein stilistisch und formal eigenwilliges Kunstwerk. Geschrieben hat Tomer Gardi ihn auf Hebräisch, in einer Übersetzung von Anne Birkenhauer ist er im Droschl Verlag erschienen.

Es beginnt damit, dass ein Mann in einem israelischen Arbeitsamt einem Beamten gegenübersitzt, der ihn nach seinem Beruf fragt und dabei konzentriert auf einen Bildschirm starrt. Der Mann sagt, er sei Schriftsteller, woraufhin der Beamte ihn endlich ansieht und sagt, dass es so einen Beruf nicht gebe, und dass das kein Beruf sei. Für ihn ist die Sache damit erledigt. Doch daraufhin schlägt ihm der Mann einen Tauschhandel vor: »Ich, sagt er dem Beamten, erzähl Ihnen eine Geschichte«. Sollte dem Beamten die Geschichte gefallen, würde er sein Arbeitslosengeld bekommen. Nur wenige Seiten darauf ist es dann eine Frau, die vor dem Beamten sitzt, Tolly Grotesky, ebenfalls Schriftstellerin. »Sie sind der König«, verspricht sie dem Beamten, »und ich bin Ihre Scheherezade, eine Scheherezade des neoliberalen Zeitalters, ultra-konsumistisch, techno-eskapistisch, psycho-anti-terroristisch, und Sie, Sie sind der King, soll ich Ihnen einen blasen?« Daraufhin beginnt Tolly mit ihren Geschichten aus »Tausendundeine Nacht«, »in denen man Zeit verbringen kann. Ganze Wochen und Tage«. Ein wiederkehrender Figurenreigen taucht auf, darunter ein »rosafarbener Feng-Shui-Fisch«, der aus einer Champagnerflasche befreit wurde. »Glück und wirtschaftlichen Aufschwung« soll er bescheren und dreht bald schon hinter Panzerglas im Arbeitsamt seine traurigen Runden. Das Erzählen von Tomer Gardi ist hoch assoziativ, es gibt Handlungssprünge, Bilder und Szenen, die verknüpft sind, sich in Variationen wiederholen, aber nicht zusammengeführt werden. Am Ende hat der »großmächtige König« vor dem grandiosen erzählerischen Aufstand, den Tolly Grotesky für ihn inszeniert, jede Macht verloren. Und bleibt allein zurück: »Sein Gesicht erhellt vom blauen Computerlicht«.

Jüdischer Salon am Grindel im Café Leonar, Grindelhof 59, 20.00 Uhr, € 10,–/7,50, Kartenreservierungen über salonamgrindel.de


Ausgezeichnet

Verleihung der Hamburger Literaturpreise 2019

Saša Stanišić
Der Wettbewerb um die Hamburger Literaturpreise hat 2019 eine Frischzellenkur erfahren: Vom Namen über das Vergabeverfahren bis zur Verleihung ist alles neu. Es werden elf Preise in sieben Kategorien mit einer Gesamtsumme von 57.000 Euro vergeben. Der Senator für Kultur und Medien Dr. Carsten Brosda überreicht die Preise und hält eine Laudatio auf »Herkunft« von Saša Stanišić, den Gewinner in der Kategorie »Buch des Jahres«. Jeweils einen der mit 6.000 Euro dotierten Hamburger Literaturpreise erhalten in der Kategorie „Roman« Tamar Baumgarten-Noort für einen Auszug aus dem Romanmanuskript »Ans Licht« und Katrin Seddig für einen Auszug aus dem Romanmanuskript »Eine deutsche Familie«. In der Kategorie »Erzählung« gewinnen Sven Lenz für seine Erzählung »Nebenrolle« sowie Julia Ditschke für ihre Erzählung »Mutter. Zwölf Versuche«. In der Kategorie »Lyrik – Drama – Experimentelles« wird Ulrike Syha für einen Auszug aus ihrem Theaterstück »Der öffentliche Raum« ausgezeichnet. Die neue Auszeichnung für das Kinder- und Jugendbuch geht an Cornelia Franz für ihr Kinderbuch »Calypsos Irrfahrt«.
Die Jurymitglieder stellen die prämierten Texte kurz vor, die Preisträgerinnen und Preisträger lesen aus ihren Arbeiten. Anke Feuchtenberger, Professorin für Zeichnen und Medienillustration an der HAW, hält eine Laudatio auf Karina Tungari, die Gewinnerin des Comic-Preises. Den musikalischen Part des Abends bestreiten die Singer-Songwriterin Zara Akopyan und DJane Miss Alaska.

Behörde für Kultur und Medien im Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.00 Uhr, Eintritt frei. Die Veranstaltung ist ausgebucht. (Eine Lesung mit den Preisträger*innen findet am 16. Januar im Nachtasyl des Thalia Theaters statt.)


Lesung

»Mein bester Freund wohnt auf der anderen Seite«

Der Musiker und Schriftsteller Stephan Krawcyk macht Musik und liest aus seiner Erzählung über zwei Siebzehnjährige aus Ost- und Westberlin, die sich im geteilten Deutschland auf der Plattform des Berliner Fernsehturms kennenlernen und daraufhin, trotz aller Schwierigkeiten, in Kontakt bleiben.

Mahnmal St. Nikolai, Willy-Brandt-Straße 60, 18.00 Uhr, Eintritt frei


Buchpräsentation

»Reisen. Essen. Schreiben«

Präsentation der neuen Anthologie der Hamburger Autorenvereinigung. Aus ihren Beiträge lesen Anna Würth, G. G. von Bülow, Maren Schönfeld, Wolf-Ulrich Cropp, Heidrun Schaller, Dagmar Fohl, Jörgen Bracker und Karsten Meyer. Das Duo Saxocello mit Vera Tacke, Violoncello und Jens Braack, Saxophon, begleitet die Lesung musikalisch.Im Anschluss lädt die Hamburger Autorenvereinigung zu einem Empfang.

Hamburger Autorenvereinigung in der Handwerkskammer Hamburg, Kleiner Saal, Holstenwall 12, 19:30 Uhr, € 6,–


Arbeitstreffen

Literatur im Gespräch

Treffen der literarischen Werkstatt Wesselyring. Leitung: Peter Schütt.

Waschhaus, Wesselyring 51, 10.00 Uhr.



Literatur in Hamburg