Donnerstag, 23.02.2012
Lesung mit Michael Ondaatje
Vom Aufbruch in ein neues Leben
Michael Ondaatje, Foto: Tulane Public Relations
Seine Kurzbiografie sagt, er sei holländisch-tamilisch-singhalesischer Abstammung, heute lebt Michael Ondaatje in Kanada. Mit seinem Roman „Der englische Patient“ war er weltweit erfolgreich, die Verfilmung wurde mit neun Oscars ausgezeichnet; der Roman mit dem renommierten Booker-Preis. Ondaatje gehört einer prominenten Gruppe transkultureller Schriftsteller an, die der englischsprachigen Literatur in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder große Erfolge einbrachte. Voll von heimatlichen Mythen und Legenden, sind ihre Geschichten zugleich durch ein westlich ausgebildetes Bewusstsein gefiltert. Ihrer Herkunft und Bildung nach ebenso verschieden wie ihre Leserschaft, orientieren sie sich an der internationalen Alltagskultur des globalen Dorfes: ihre Literatur entspricht der immer heterogener und kulturell homogener werdenden Welt. Vom Aufbruch in dieses neue Leben erzählt Michael Ondaatje in seinem neuen Roman „Katzentisch“: Der 11-jährige Mynah geht 1954 an Bord der „Oronsay“, um mutterseelenallein von Colombo in Sri Lanka, damals noch Ceylon, nach England überzusetzen. 21 Tage soll die Reise dauern, in Europa wartet seine Mutter auf ihn: „Was meine Gedanken beschäftigte, waren weder die Dauer noch die Magie der Reise, sondern es war die Frage, wie meine Mutter wissen sollte, wann genau ich in jenem fremden Land ankommen würde.“ Dennoch wird es eine magische Reise für ihn, den asthmatischen Ramadhin und den wilden Cassius. Die Schiffspassage gerät zur Bildungsreise, denn die Jungen finden im Mikrokosmos des Dampfers eine ganze Welt, farbenfroh, skurril und sinnlich. Sie lernen, dass es Menschen auf dem Oberdeck und unten im Maschinenraum gibt, dass Manche beim Kapitän sitzen und Andere, wie sie selbst, am Katzentisch. Frühmorgens, wenn das Schiff noch schläft, stibitzen sie Leckereien in der Luxusklasse und verspeisen sie in ihrem Versteck in den Rettungsbooten. Sie lauschen und beobachten, und unversehens schippern die Jungen ins Erwachsenenleben, denn oft ist die Aussicht vom Katzentisch die spektakulärste: „Und so kam uns der geringfügige und wichtige Sachverhalt zu Bewusstsein, dass unser Leben durch interessante Fremde bereichert werden kann, die an einem vorbeigehen, ohne dass man näher mit ihnen zu tun hat.“
Im Literaturhaus stellt Michael Ondaatje seinen Roman „Katzentisch“ vor. Den deutschen Text liest Michael Paweletz. Moderation: Gabriele von Arnim.
Veranstalter: Literaturhaus. Schwanenwik 38, 19.30 Uhr. Eintritt: 10.-/8.- Euro.
Jasmin Ramadan, Foto: Ali Yavani