Montag, 03.06.2019


Literatur Altonale

ZIEGEL-Speed Dating

Nora Gantenbrink
Nora Gantenbrink, Foto: Tamina Florentine Zuch
Von Kieztoilette bis Perlenkette, von Seemannsmission bis Fährkollision, von Strandkiosk bis Kilo-Shop, das Leben in Hamburg ist vielfältig, manchmal hart, oft überraschend und fast immer spannend. Kein Wunder, dass es hier eine so lebendige Literaturszene gibt – und ein Literaturjahrbuch, das sie regelmäßig zusammenruft. Zur Literatur Altonale stellen Verena Carl, Jens Eisel, Nora Gantenbrink und Sascha Preiß das Jahrbuch bei einer kleinen Tour durch Ottensen vor.

Es ist ein einmaliges Buch und, wie der Backstein, der ihm den Namen gegeben hat, gute »hamburgische Tradition« (Helmut Schmidt): Der »Ziegel«, das Hamburger Jahrbuch für Literatur, ist in seiner 16. Ausgabe im mairisch Verlag erschienen. Die »liebevoll gestaltete Werkschau hanseatischer Literaturkompetenz« (Focus Online) präsentiert Romanauszüge, Erzählungen, Gedichte, Auszüge aus Theaterstücken und visuelle Poesie von fast 50 Autorinnen und Autoren. Vier Autorinnen und Autoren stellen ihre Beiträge aus dem ZIEGEL in kurzen, ca. 15-minütigen Lesungen bei einer Tour durch Ottensen zur Literatur Altonale vor: Verena Carl lädt ins »Hotel Mundial«, Jens Eisel erzählt in seiner Story »Neuschnee« von einem Helden, der nichts zu lachen hat und dem trotzdem die Hoffnung nicht ausgeht, Nora Gantenbrink erinnert sich an »Dad«, und Sascha Preiß schlägt vor: »wir könnten zum abschied ein selfie machen«. Moderation: Jürgen Abel.

Verena Carl: Festivalzentrum, Platz der Republik, 19.00 Uhr
Jens Eisel: Buchhandlung Christiansen, Bahrenfelder Str. 79, 19.45 Uhr
Nora Gantenbrink: Café Bar Knuth, Große Rainstr. 21, 20.15 Uhr
Sascha Preiß: Mathilde Bar, Kleine Rainstr. 11, 20.45 Uhr
Eintritt frei!


Lesung mit Elif Shafak

Ein Hauch vom Paradies

Elif Shafak
Elif Shafak, Foto: Fethi Karaduman
Ihr letztes Getränk, bevor sie ermordet wird, ist ein Single Malt Whiskey. Daran erinnert sie sich und an die pinkfarbene Geburtstagstorte von ihren Freunden. Dann kommt das Gehirn endgültig zum Stillstand. Zehn Minuten und 38 Sekunden bleiben der Prostituierten Leila nach ihrem Tod, in denen sie ihr Leben Revue passieren lassen und sich fragen kann, was ihr zugestoßen ist. Sie bilden den erweiterten Countdown, der nach dem »Ende« einsetzt, mit dem der neue Roman »Unerhörte Stimmen« von Elif Shafak beginnt. Komplexe Themen wie Identität und Sexualität, Feminismus, Politik und Gesellschaft in der Türkei werden in dem Roman meisterhaft mit der bewegenden Geschichte einer Frau und ihrer Freunde verknüpft, die sich in Istanbul am Rande der Gesellschaft behaupten müssen.

Die in London und Istanbul lebende Schriftstellerin Elif Shafak wurde 1971 in Straßburg als Tochter einer Diplomatin und eines Soziologieprofessors geboren, aufgewachsen ist sie u.a. in Madrid und Amman. Sie schreibt auf Türkisch und Englisch und gilt als »bedeutendste weibliche literarische Stimme der Türkei« (»The New York Times«). Ihr zuletzt erschienener Roman »Der Geruch des Paradieses« war auch in Deutschland ein vielgelobter Bestseller, ihre Werke wurden in über fünfzig Sprachen übersetzt. Istanbul, dieser »durchgeknallten alten Stadt« und ihren Frauen hat Elif Shafak ihren neuen Roman »Unerhörte Stimmen« gewidmet.

Die Geschichten der Menschen, von denen sie erzählt, wären ohne »das dekadente und das fromme, das machohafte und das feministische Istanbul« als Brennpunkt nicht denkbar. Sie alle sind Geflohene, Vertriebene und Gestrandete, denen die Metropole zum Zufluchtsort wurde. Tequila Leila hat sich aus Ostanatolien vor der drohenden Verheiratung und dem religiösen Eifer ihres Vaters nach Istanbul gerettet. Sie hat Pech und landet in der Straße der Bordelle. Doch Leila ist eine starke Frau, die sich nach und nach ein selbstbestimmtes Leben aufbaut. Im ersten, mit dem Titel »Geist« überschriebenen Teil des Romans ruft Leilas verebbendes Bewusstsein ihr die eigene Geburt in Erinnerung und die Hebamme, die »einen pudrigen Moschusduft« an ihr wahrnimmt, »einen Hauch vom Paradies«. Vielleicht ist es dieser Hauch, durch den sie die Zuversicht findet, in den harten Anfangsjahren in Istanbul niemals aufzugeben. Zum wichtigsten Anker werden ihr jedoch ihre fünf Freunde: die Transfrau »Nostalgie Nalan«, die Sängerin »Hollywood Humeyra«, die Wahrsagerin »Zaynab122«, Jamila und »Sabotage Sinan«.

Nach und nach erzählt Leila ihre Geschichten, bevor die Freunde im zweiten, mit dem Titel »Körper« überschriebenen Teil des Romans zusammenkommen, um gemeinsam für eine angemessene Beerdigung von Leila zu sorgen. Das ist gar nicht so einfach, denn die Behörden bestehen darauf, sie auf dem »Friedhof der Geächteten« zu bestatten, wo »die Guten, die Grausamen und die Barmherzigen trostlos nebeneinander« liegen. Elif Shafak erzählt die rasante Körper-Rettungsaktion der fünf Freunde als bitterschwarze Komödie. Sie gipfelt in einem kuriosen Showdown auf der Bosporus-Brücke und der Erkenntnis, dass in Istanbul, dieser »fließenden Stadt«, nichts »ein für alle Mal entschieden« ist. Leilas Seele spielt am Ende »Fangen mit einem Kampffisch«, den man einst zu ihrer Geburt in einem Bach ausgesetzt hat, und ist endlich frei.

Literaturhaus und NDR Kultur im Magazin-Kino, Fiefstücken 8A, 19.30 Uhr, € 14,–/10,–


Lesung

»Leithammel sind auch nur Menschen«

Stefan Verra, der als »Rockstar der Körpersprache« (hr1) gilt, präsentiert sein Buch über die Körpersprache der Mächtigen.

Alma Hoppes Lustpielhaus, Ludolfstr. 53, 20.00 Uhr, ab € 27,–


Poetry Slam

»Best of Poetry Slam«

Moderation: Michel Abdollahi.

Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 36, 20.00 Uhr, € 13,– bis 25,– Euro, ermäßigt 11,– Euro.


Literatur in Hamburg