Freitag, 30.10.2020


Lesung mit Katrin Seddig

In der »Sicherheitszone«




In ihrem Roman »Sicherheitszone« (Rowohlt Berlin) verknüpft Katrin Seddig die größeren und kleineren Lebensdramen einer Hamburger Familie zu einem berührenden Gesellschaftspanorama der Gegenwart. Erzählt wird mit einem ganz eigenen Sound in vielen kleinen Episoden, in denen wir die Familienmitglieder für ein halbes Jahr begleiten. Als es vorbei ist, sind sie alle plötzlich mit einer radikalen Ausnahmesituation konfrontiert, die sie dazu zwingt, die bestimmenden Fragen ihres Lebens neu zu beantworten: Wer sind wir und in welcher Welt wollen wir leben?

Über 30.000 Polizisten aus ganz Deutschland werden Anfang Juli 2017 in Hamburg zusammengezogen. Sie bringen unzählige Einsatzfahrzeuge mit, Wasserwerfer und Hubschrauber, die tagelang knatternd über dem Stadtgebiet kreisen. In der HafenCity hat man auf einer Brache im Baakenhafen hunderte schwarze Limousinen bereitgestellt, mit denen die Gäste aus aller Welt zwischen den Tagungsorten und ihren Hotels pendeln können. Als sich am Vorabend des G20-Gipfels die »Welcome to Hell«-Demonstration am Fischmarkt formiert, haben viele Einwohner*innen die Stadt schon verlassen. Katrin Seddig war an diesem 6. Juli unter den Demonstrierenden, und in »Sicherheitszone« erzählt sie zum Auftakt eine Szene, die auf der Demo spielt: Da sitzt Paul bewusstlos auf der Flutmauer, nachdem ein Polizist ihn »mit dem Schlagstock auf den Kopf geschlagen« hat. In nur wenigen Sätzen ist skizziert, wie er später versuchen wird, sich zu erinnern, damit greifbar werden kann, was ihm gerade widerfährt. Katrin Seddig gibt damit den Modus ihres Romans vor: »Was die Wahrheit ist, das weiß man nicht«, auch wenn jeder »Splitter Erinnerung«, den wir finden, einen kleinen Teil Wahrheit in sich birgt. Diese Splitter versucht der Roman für ein Gesamtbild zu bergen.
Im Zentrum steht die Familie Koschmieder, die in Marienthal lebt in einem eigenen Haus lebt, wobei Familienvater Thomas sich gerade aus dem gemeinsamen Leben mit seiner Frau Natascha in eine Einliegerwohnung über der Garage verabschiedet hat. Der Reigen der Erzählungen setzt ein paar Monate vor dem G20-Gipfel mit Oma Helga ein, die sich mehr und mehr in ihren Erinnerungen verliert und damit den weiten Horizont der Familiengeschichte öffnet. Den intensivsten Kontakt hat sie zu ihrem Enkelsohn Alexander, er ist zur Polizei gegangen, weil »du da halt machst, was du machen musst«. Seiner jüngeren Schwester Imke empfiehlt er für den G20-Gipfel, sich rauszuhalten, doch die 17-Jährige hat sich den »Zecken« angeschlossen und geht demonstrieren. Der G20-Gipfel wird für sie wie für alle Familienmitglieder zu einem Wendepunkt, an dem sich zeigt, was in ihrem Leben anders werden soll. Die Haltungen unterscheiden sich dabei mal mehr und mal weniger, eine Erfahrung macht die Familie jedoch gemeinsam: »Die Dinge verändern sich, sobald man Einblick bekommt«.
Katrin Seddig porträtiert in ihrem so klugen wie mitreißend erzählten Roman die erschütterbare Mitte der Gesellschaft. Was man mit ihr zu sehen bekommt, ist durchaus beruhigend, auch wenn man ahnt, dass am Ende alle sich ankündigenden Befürchtungen wahr werden.

Ledigenheim – zu Gast im Kleinen Michel, Michaelisstr. 5, 19.00 Uhr, Eintritt frei, Spenden erwünscht, Anmeldung unter Tel. 040-29813888 oder per E-Mail an anmeldung@stiftungros.de


Lesung mit Pierre Jarawan

»Ein Lied für die Vermissten«




Mit seinem Romandebüt »Am Ende bleiben die Zedern« gelang ihm ein internationaler Bestseller, doch auch als Bühnenliterat ist Pierre Jarawan ein Ausnahmetalent: 2012 wurde er internationaler deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. In diesem Oktober stellt er nun seinen zweiten Roman »Ein Lied für die Vermissten« (Berlin Verlag) vor, der die bewegte Geschichte des Nahen Ostens mit dem Leben des jungen Amin verknüpft.

Amin ist bei einem traditionellen Geschichtenerzähler in die Lehre gegangen und beginnt bald, seine Erinnerungen aufzuschreiben: an das Jahr 1994, als er als Jugendlicher mit seiner Großmutter in den Libanon zurückkehrte – zwölf Jahre nach dem Tod seiner Eltern. An seine Freundschaft mit dem gleichaltrigen Jafar, mit dem er diese verschwiegene Nachkriegswelt durchstreifte. Doch auch jetzt sind wieder Unruhen ausgebrochen, 2011 ist der Arabische Frühling voll entfacht, und Amin begreift, dass es in diesem Land nie Gewissheit geben wird, nicht über die Vergangenheit und auch nicht über die Geschichte seiner Familie.

Buchhandlung am Sand, Hölertwiete 5, 19.30 Uhr


Lesung

»Alte Liebe«

Szenische Lesung mit Monika Gutte und Matthias Brandstädter nach dem gleichnamigen Roman von Elke Heidenreich und Bernd Schroeder.

Kellertheater, Johannes-Brahms-Platz 1, 16.00 Uhr, € 15,–/9,–


Poetry Slam

»8 min Eimsbüttel«

Vertreter der Dichtkunst treten zum Wettstreit an, und wenn sonst beim Poetry-Slam in 5 Minuten alles gesagt sein muss, gibt es bei diesem Slam eine Gnadenfrist von 3 Minuten. Ob »hitzig oder lyrisch, klug oder wüst«, es darf gelesen werden, was gefällt. Moderation: Friederike Moldenhauer.

Auster Bar, Henriettenweg 1, 20.00 Uhr, € 4,–, für Vorlesende ist der Eintritt frei.

Literatur in Hamburg