Samstag, 04.01.2020


Lesung mit Bernd Brunner

Links vom Sonnenaufgang

Bernd Brunner
Bernd Brunner, Foto: Michael Schidlack
Für viele Jahrhunderte ist der Norden eine Weltgegend, in der man das Böse vermutet, ein Ort der Kälte und Dunkelheit. Er liegt links vom Sonnenaufgang, zeigt »Richtung Mitternacht« und führt schnurstracks hinaus aus der gebildeten Welt im Mittelmeerraum. Angst und Schrecken geht von dieser Gegend aus, auch Hamburg braucht lange, bis es sich von einer grausamen Heimsuchung des Nordens erholt. Im Jahr 845 überfallen Wikinger die damals noch kleine Siedlung und erschlagen, wen auch immer sie erwischen. Gleichzeitig wird hoch im Norden schon im 4. Jahrhundert v. Chr. eine Insel beschrieben, die bald mythische Bedeutung erlangt: das sagenhafte Thule. Es ist nur eine der großen Projektionsflächen, die Bernd Brunner in seinem neuen Buch »Die Erfindung des Nordens« (Galiani) ausleuchtet.

Zum Auftakt erfahren wir von einem Stich aus der »Wunderkammer des königlichen Antiquars des dänisch-norwegischen Reiches Ole Worm«, aus dem sich ableiten lassen soll, dass der Urahn des sagenumwobenen Einhorns kein Pferd war, sondern ein die Nordmeere bewohnendes Meerestier. Es ist nur eine der vielen Preziosen, die Bernd Brunner für seine »Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung« gesammelt hat. Der in Berlin und Istanbul lebende Autor findet seine Themen stets an der Schnittstelle von Kultur-, Wissenschafts- und Mentalitätsgeschichte, mal vermittelt er in »Ornithomania« Staunens- und Wissenswertes aus der Welt der Vogelkunde, dann erzählt er in »Als die Winter noch Winter waren« die »Geschichte einer Jahreszeit« oder schreibt ein »Granatapfelbuch«. Zu einem großen Streifzug lädt er mit seiner Kulturgeschichte des Nordens ein, er führt von der Entdeckung Thules bis zu IKEA, vom ersten Touristen auf der »Bäreninsel« über die verschiedenen Nordpol-Expeditionen bis zur kultischen Verehrung alles Nordischen durch die Nazis, die im Norden die »Urheimat der Germanen« sahen und in Helgoland die Hauptstadt von Atlantis entdeckt haben wollten. Vom wahren Norden erzählt Brunner zum Abschluss seiner Exkursion, und wir erfahren, dass man »Ultima Thule«, den nördlichsten Landpunkt der Erde, kürzlich »in den Weltraum verlegt« hat – als Bezeichnung für den am weitesten entfernten Himmelskörper, der je untersucht wurde. Der irdische Norden rückt unterdessen als Wirtschaftsregion mehr und mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Mit Frank Brunner kann man diesen profanen Blick um große Weiten ergänzen und darf sich damit trösten, dass die Jahrhunderte verbindende Magie, die vom Norden ausgeht, wenigstens in der Literatur erhalten bleibt.

Buchhandlung Boysen + Mauke, Große Johannisstr. 19, 15.00 Uhr, € 5,– Anmeldungen: schweitzer-online.de


Ernst-Barlach-Abend

»Bin und bleibe, der ich war«

Ernst Barlach
Ernst Barlach, Foto: Hildegard Heise
Am 2. Januar 2020 jährt sich der Geburtstag des expressionistischen Bildhauers, Zeichners und Dramatikers Ernst Barlach (1870–1938) zum 150. Mal. Gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler Holger Helbig präsentieren der Schauspieler Charly Hübner und der Schriftsteller Ingo Schulze zum Barlach-Jubiläum ein Großprojekt: die kommentierte Neuausgabe sämtlicher Briefe Barlachs, die Mitte Dezember 2019 im Suhrkamp Verlag erscheint. Rund 2.200 Briefe aus 90 Archiven, Museen und privaten Sammlungen wurden dafür zusammengetragen. In seinen Briefen hat Ernst Barlach den Roman seines Lebens festgehalten. Die Lesung gibt Kostproben aus den Briefen und will Barlach dabei »nicht festlegen, sondern dazu einladen, einen fulminanten Autor zu entdecken.«

Ernst Barlach Haus und Literaturhaus im Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Baron-Voght-Str. 50A, 19.00 Uhr, € 14,–/10,–


Literatur in Hamburg