Dienstag, 09.05.2017


Preis der Literaturhäuser 2017

Vom großen Zusammengehören




Da ist dieser „junge Herr Zitterpappel“, er heißt Tim und macht eine Ausbildung zum Koch. Seine Freundin Sandy ist genauso verloren in die Welt gestellt, wie er. Doch immerhin haben sie ihre junge Liebe und einen großen Traum: Sie wollen ans Meer. Fast so nüchtern, präzise und klar wie in einem Bericht erzählt Terézia Mora in ihrem Erzählband „Die Liebe unter Aliens“ (Luchterhand Verlag) davon, wie Sandy und Tim sich kurz darauf verlieren, ja, selbst verloren gehen. Wie wir zusammen sind, warum wir uns finden und wie wir uns verlieren, ist das Thema, das in allen Geschichten des Erzählbandes aufscheint. Im Literaturhaus erhält Terézia Mora den mit 15.000 Euro dotierten Preis der Literaturhäuser und liest aus ihrem Erzählband. Laudatio und Moderation: Sigrid Löffler.

Schon mit ihren 1999 erschienenen Erzählungen „Seltsame Materie“ wurde Terézia Mora als Star unter den jungen Autoren begrüßt und erhielt den „Ingeborg-Bachmann-Preis“, hoch gelobt wurde sie auch für ihren Roman „Alle Tage“, der u.a. mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Und auch ihr Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ (2009) wurde viel gelobt, mit das „Das Ungeheuer“ erhielt sie 2013 schließlich den Deutschen Buchpreis. Dass die 1971 im ungarischen Sopron geborene Schriftstellerin, die heute in Berlin lebt, auch als eine der renommiertesten Übersetzerinnen aus dem Ungarischen gilt, wird bei all den Preisen schon fast zur Randnotiz. Die neu erschienenen Erzählungen Terézia Moras spielen in einer kalten Welt, in der es vor allem darauf ankommt, durchzuhalten, so wie der Marathonmann in der sehr gelungenen Auftakterzählung „Fisch schwimmt, Vogel fliegt“.
Er ist „nicht besonders, nur eben ausdauernd“. Und er läuft. Obwohl er schon 57 ist und aussieht wie ein alter Mann, kann er eigentlich sehr viel schneller und länger laufen als der Junge, der ihm eine Tasche mit seinem Geldbeutel und seinen Papieren aus der Hand gerissen hat. Während dieses langen Laufs erfahren wir von einem Leben, in dem es wenig Berührung mit anderen gegeben hat, was zählt ist allein, „ob du auf-gibst oder aufgibst oder weiter weitermachst“. Am Ende hat der Marathonmann den Dieb eingeholt und bekommt seinen Lohn. Er ist verdient und ganz anders als erwartet.
Es sind keine Außenseiter-Geschichten, die Terézia Mora erzählt: Da fühlt sich ein Nachtportier heimlich zu seiner Halbschwester hingezogen, eine Unidozentin flieht vor einer gescheiterten Beziehung und vor der Auseinander-setzung mit sich selbst, und ein japanischer Professor verliebt sich in eine Göttin. Gemeinsam ist den virtuosen Erzählungen, dass ihre Helden vom Unerwarteten überrascht, mit der Fragilität des Daseins konfrontiert sind und dann damit umgehen müssen. Und bei aller Verlorenheit, in der Terézia Mora ihre Figuren findet, gibt sie ihnen doch auch den eigensinnigen Traum von einer besseren Welt mit auf den Weg, in der die Suche nach Nähe sich erfüllt.

Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, 10.-/6.- Euro.


Lesung mit Feridun Zaimoglu

Gute Nachrichten aus der elenden Haft

Feridun Zaimoglu
Feridun Zaimoglu, Foto: Melanie Grande
Feridun Zaimoglu hat sich in den letzten Jahren mit seinen Romanen und Erzählungen in der vordersten Reihe der deutschen Gegenwartsautoren eingereiht, sich mit viel Poesie in der Feder, aber auch mit Politik im Kopf eingemischt und wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Berliner Literaturpreis für „Siebentürmeviertel“ (2015). In dem Roman führt er uns für eine Familiensaga zwischen Orient und Okzident ins Istanbul der 1930er Jahre und mitten hinein in eine fremde Welt. In „Evangelio“ (Kiepenheuer & Witsch) übersetzt er uns nun – passend zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation – die Lieben und Leiden Luthers für die Gegenwartsliteratur. In der Buchhandlung Felix Jud stellt Feridun Zaimoglu seinen Roman vor. Moderation: Annemarie Stoltenberg.

Erzählt wird in einer teutschen Sprache, die es in sich hat, schon wenn der Erzähler Burkhard auch nur anhebt, um von sich zu sagen: „Bin ein gerauter Kerl, gehobelte Fresse. Kein Gesang und kein Weib macht mich weich. Solang der Himmel nicht einstürzt und mein Kopf nicht birst, kann ich das Eisen halten.“ Der „ungeratene Kaufmannssohn“ und Landsknecht ist Martin Luther zum Schutz an die Seite gestellt, der auf der Wartburg in nur elf Wochen das Neue Testament ins Deutsche übersetzt. Burkhard erzählt uns vom Leben, vom Streben, aber auch von den Qualen des großen Reformators, wobei er selbst Katholik ist und das Wirken dieses „Ketzers“ eher mit Sorge um sein Seelenheil betrachtet. Unterbrochen werden seine Berichte von Briefen Luthers, er schreibt sie aus der elenden Haft an seine Mitstreiter, die Theologen Melanchthon in Wittenberg und an Georg Spalatin in Altenburg, bei dem er sich artig bedankt, dass ihm dank „Wermut und allerlei Kraut“ nun „nicht länger die Hinterbacken beben“. In einem Brief an Spalatin verspricht er „in der Morgenstunde nach dem Tage des Ambrosius“ auch: Das „Volk werden wir neu bekehren“ mit der „geschriebenen Kunde“, in der es kein „verdunkeltes Gotteswort“ gibt. Bevor er „die Feder ins Tintenhorn taucht“ muss ihn Burkhart aber doch noch für einen Besuch nach Wittenberg begleiten – und bei schlimmsten Teufelsvisionen beistehen.
Für all die erhellenden Lutherworte hat Feridun Zaimoglu sich nicht nur jede Menge Wissen aus Büchern erschlossen, sondern ist auch nach Eisenach, auf die Wartburg und nach Wittenberg gereist. Und er ist trotz all der Fakten, die in seinen Roman eingeflossen sind, „ein Geschichtenerzähler“ geblieben, er hat einen ganz eigenen, starkdeutschen Sound für eine Welt im Umbruch entwickelt und beendet „Evangelio“ mit einer guten Nachricht aus Luthers Feder: „Der Weinstock rankt./ Gott hat den Tod verschlungen./ Babylon wird fallen.“

Buchhandlung Felix Jud, Neuer Wall 13, 19.00 Uhr, 10.- Euro. Um Anmeldung unter kontakt@felix-jud.de oder unter Tel.: 040-343409 wird gebeten.


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