Anne Enrights neuer Roman »Die Schauspielerin«

Kirschblüten, die davonwehen

Anne Enright
Anne Enright, Foto: Hugh Chaloner
Sie ist bekannt dafür, Beziehungslügen unerbittlich zu sezieren: Die irische Schriftstellerin Anne Enright ist ihren Figuren schon mit ihren Romanen »Das Familientreffen«, der mit dem renommierten Booker-Preis ausgezeichnet wurde, und »Anatomie einer Affäre« schonungslos aufrichtig zu Leibe gerückt. Das macht sie nun auch in ihrem neuen Roman »Die Schauspielerin«, der von einer Mutter-Tochter-Beziehung erzählt und davon, wie es ist, im Schatten einer Ikone aufzuwachsen.

Zu ihrem 21. Geburtstag gibt es eine Torte, ein professionelles Geburtstagsständchen von Frau Mama und ein Gesellschaftsfotograf macht einen Schnappschuss von Mutter und Tochter und später noch ein Foto von der Mutter mit ihrer neuen Geschirrspielmaschine, der ersten, die es damals in Irland gab. Das Haus ist voll mit Freunden und Bekannten der Mutter, der Geburtstag eine gut durchgeplante Inszenierung für die Tochter, die Fotos und ein Bericht erscheinen später in der Klatschpresse. Den Zenit ihrer Karriere hat Katherine O’ Dell zu diesem Zeitpunkt schon überschritten, doch sie ist immer noch berühmt, eine große Dame des irischen Theaters und Films. Ihr Debüt hatte sie mit nur zehn Jahren am Londoner Royalton Theater als »Krokus in einem Chor aus Frühlingsblumen«. Das Blumenmotiv hat Anne Enright ihrer »Schauspielerin« mit durchs Leben gegeben, sie hegt eine »lebenslange Schwäche für Magnolien«, und wenn sie »langsam und liebevoll« blinzelt, denkt sie an Kirschblüten, »die im Wind davonwehen«.

Mit nur 21 Jahren wird sie kurz nach dem Krieg am Broadway gefeiert. Es ist das Sprungbrett nach Hollywood und zum Film. Sie heiratet den »britischen Beau« Philip Greenfield, mehr auf Geheiß des Studios, das sie unter Vertrag genommen hat, als aus Liebe. Mit 24 bekommt sie eine Tochter, doch von Philip ist sie da schon getrennt. Sie kehrt nach Irland zurück, lässt sich in Dublin nieder, bleibt als Theaterschauspielerin noch viele Jahre präsent, wird zur Kultfigur in einer Werbung für irische Butter und stirbt 1986 mit nur 58 Jahren nach einer Phase schwerer geistiger Zerrüttung. Und nachdem sie einem irischen Filmproduzenten mit einer Pistole aus der Requisite in den Fuß schoss. Das ist das öffentliche Bild. Doch wie war sie wirklich?

Es ist eine Frage, die man ihrer Tochter Nicole immer wieder gestellt hat. Viele Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, beginnt die Romanautorin zu recherchieren. In ihren Erzählungen zeichnet sie das unsentimentale Porträt einer Künstlerin, die »meistens verzweifelt und nur selten glücklich war« und auch vor ihrer Tochter stets eine Fassade aufrecht erhielt, hinter der sie nicht nur ihre Liebhaber versteckte, sondern auch den Vater ihres Kindes. Zu einem Leseerlebnis wird Anne Enrights Roman jedoch nicht nur durch die ungewöhnliche Mutter-Tochter-Beziehung, sondern auch durch den Horizont, in den sie das familiäre Drama einbettet, an dem sich das künstlerische, intellektuelle und politische Irland der Nachkriegszeit zeigt.

Anne Enright »Die Schauspielerin«, Penguin Verlag, € 22,–.


29.05.2020 | Jürgen Abel