Asal Dardans »Betrachtungen einer Barbarin«

Direkt, nah und mit großer Lust am Dissens

Asal Dardan
Asal Dardan, Foto: Sarah Berger
Eines der Sachbücher des Jahres 2021 ist »Betrachtungen einer Barbarin« von Asal Dardan, nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis, brillant geschrieben und oft besprochen. Es ist ein Buch, das sich leicht in den aktuellen identitätspolitischen Debatten um Zugehörigkeit und das Anderssein verorten, im Verbund mit anderen Büchern zum Thema labeln und als aktuellen Debattenbeitrag diskutieren lässt. Zum Ereignis und zum Leseerlebnis werden die zehn Essays des Bandes, weil Asal Dardan ganz persönliche und immer wieder auch intime Beobachtungen aus ihrem Leben mit politisch-gesellschaftlichen Analysen verbindet.

Auf Wikipedia heißt es, sie sei eine »iranisch-deutsche Schriftstellerin«. Es ist eine Zuschreibung, die Asal Dardan für sich selbst »sehr selten« gebraucht, manchmal sagt sie, dass sie »im Iran geboren sei«, manchmal und eher »aus Trotz« auch, sie sei »Deutsche«. In ihrer Vita stehen die Hard Facts zu den Etikettierungen: Asal Dardan, geboren 1978 in Teheran, wuchs nach der Flucht ihrer Eltern aus dem Iran in Köln, Bonn und Aberdeen auf. Sie studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim und Nahoststudien in Lund, schreibt als freie Autorin für führende deutsche Zeitungen und wurde 2020 mit dem Caroline-Schlegel-Preis für Essayistik ausgezeichnet. Nach Jahren auf Öland in Schweden lebt sie mit ihrer Familie in Berlin. Soweit, so richtig und doch allenfalls die halbe Wahrheit. Aber warum? Natürlich kann eine Kurzvita nicht den Roman eines Lebens erzählen, aber sie zeigt bei Asal Dardan eben auch deutlich, dass sie als von der Gesellschaft aufgegebene Selbstauskunft eine Eindeutigkeit suggeriert, die es nicht gibt. Ihr Heimatbegriff ist brüchig, von sich selbst sagt sie: »Ich bin keine Iranerin, und ich bin keine Deutsche, und ich bin doch beides. Und ich werde mitnichten dem Kitsch unserer Tage nachgeben und behaupten, ich sei Europäerin. Ich empfinde Zugehörigkeit als einen Prozess und keinen Zustand, keine Frage der Loyalität zu einem Territorium, weshalb ich nie eine grundsätzliche Aussage darüber treffen kann, wohin ich gehöre.«

Es ist ein »Zwischenort«, von dem sie in ihrem Buch erzählt. Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Was erwarte ich von der Gemeinschaft, in der ich lebe? Das sind die Fragen, die stets mitschwingen, wenn sie von ihrer Kindheit in einer Kölner Hochhaussiedlung erzählt, wo sie sich mit Spitzwegs Biedermeier an der Wand als »exzellente Kleinbürgerin« sieht. Zum Iran, aus dem ihre Eltern mit der Einjährigen nach der Revolution flüchteten, hat sie nur wenig Bezug, und findet sich bald in einem typischen Patchwork, mit getrennten Eltern und dem neuen Partner der Mutter. Für sechs Jahre besucht sie ein Internat in Bonn, macht nach dem Abitur ein Volontariat bei CNN in Atlanta. In die autobiografischen Stationen eingewoben sind Analysen über Migration, Alltagsrassismus, den NSU-Prozess, aber auch feministische Themen, mit denen sie als Intellektuelle und Mutter in den letzten Jahren zunehmend konfrontiert war. Es sind zentrale Diskurse der Gegenwart, die hier, auf den ganz persönlichen Erfahrungshorizont heruntergebrochen und so sehr direkt, nah und zugleich mit großer Lust am Dissens analysiert werden.

Asal Dardan stellt ihre »Betrachtungen einer Barbarin« am 12. Januar im Literaturhaus vor.

➝ Literaturzentrum im Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 7,–/5,–, Anmeldung unter Tel. 040-2279203 oder per Mail: lit@lithamburg.de

Asal Dardan, »Betrachtungen einer Barbarin«, Hoffmann und Campe, € 22,–


01.12.2021 | Jürgen Abel