Benedict Wells »Hard Land«

Die 49 Geheimnisse von Grady

Benedict Wells
Benedict Wells, Foto: Roger Eberhard
Mit so großer Aufmerksamkeit wird bei kaum einem anderen deutschsprachigen Schriftsteller ein neuer Roman begleitet wie bei Benedict Wells. Sogar das »heute journal« des ZDF berichtete in einem längeren Beitrag, als in diesem Frühjahr »Hard Land« erschien, sein bisher fünfter Roman, der bis heute in den Bestseller-Listen steht. Er spielt 1985 in Grady, einem Kaff in Missouri, erzählt eine beinahe klassische Coming-of-Age-Geschichte und ist gleichzeig eine wundervolle Hommage auf die Musik und die Filme der Achtziger.

Der erste Satz von »Hard Land« ist ein grandioser Jingle, eine Erkennungsmelodie, die man nicht mehr vergisst, wenn man sie einmal gehört hat: »In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.« Damit sind die zentralen Motive und die Grundstimmung des Romans schon vorgegeben. Später wird sie in der schönen Wortneufindung »Euphancholie« zusammengefasst, einer Mischung aus Euphorie und Melancholie. »Einerseits zerreißt‘s dich vor Glück, gleichzeitig bist du schwermütig, weil du weißt, dass du was verlierst oder dieser Augenblick mal vorbei sein wird.« So geht es dem fünfzehnjähfabrikrigen Sam, einem sehr zurückhaltenden, etwas schmächtigen Jungen, der mit seinen Eltern in Grady lebt, einem Ort, aus dem fast alle nach der Schule einfach nur wegwollen. Um zu Hause rauszukommen, nimmt er einen Job im alten Kino an, das kurz vor der Schließung steht. Für einen magischen Sommer ist daraufhin alles auf den Kopf gestellt, Sam fühlt sich plötzlich so, wie er sich »schon sein ganzes Leben lang fühlen wollte: übermütig und wach und mittendrin und unsterblich«. Er findet in den älteren Jungs Cameron und Hightower neue Freunde und verliebt sich in Kirstie, die Tochter des Kinobesitzers. Bald sieht es sogar fast so aus, als könnte er wenigstens eines der »49 Geheimnisse von Grady« entdecken, von denen der Dichter William J. Morris in einem langen Gedicht spricht, das die Schüler:innen des Ortes seit Generationen interpretieren müssen. Doch dann endet diese wilde Zeit ganz plötzlich und Sam erfährt, wie schmerzhaft es sein kann, erwachsen zu werden. »Hard Land« ist ein berührender Roman, der gleich noch die Playlist für die 80er-Jahre-Songs mitliefert, die als Soundtrack im Roman stets mitschwingen.

Benedict Wells, »Hard Land«, Diogenes, € 24,–


01.10.2021 | Jürgen Abel
Benedict Wells, Hard Land