Benjamin Quaderers »Für immer die Alpen«

Die Wahrheit über Staatsfeind Nummer 1

Benjamin Quaderer
Benjamin Quaderer, Foto: Jens Oellermann
Diese Geschichte ist in unzähligen Berichten und Nachrichten um die Welt gegangen. Sie handelt von Größenwahn, Geldwäsche, Erpressung und von einem Whistleblower, der zu Liechtensteins Staatsfeind Nummer 1 wurde. Der junge österreichische Schriftsteller Benjamin Quaderer erzählt sie in seinem Debüt »Für immer die Alpen« (Luchterhand Verlag), das man auch als semidokumentarischen Roman lesen kann. Er changiert meisterhaft zwischen Lüge und Wahrheit, erzählt ganz und gar Unglaubliches und beschert seinen Leser*innen mindestens einen großen Spaß.

In der kurzen Vorrede zu seiner Lebensgeschichte wünscht Johann Kaiser eine »aufrüttelnde Lektüre« und erklärt, dass seine Geschichte alles ist, was ihm geblieben sei, um sich »gegen diejenigen zu verteidigen«, die ihn »tot sehen wollen«. Dann beginnt er zu erzählen, ganz von vorn und also damit, dass in dem kleinen Fürstentum Liechtenstein am 31. März 1965 ein gewaltiger Schrei von seiner Geburt zeugte. Fürstin Gina höchstpersönlich hält fortan schützend ihre Hand über den Jungen, allein, es nützt nicht viel. Der junge Johann und seine beiden älteren Schwestern landen im Waisenhaus, nachdem die Eltern sich trennen, und für Johann beginnt ein langer Leidensweg, der erst endet als er an Heiligabend 1979 sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und seine Heimat auf einem geklauten Moped Richtung Spanien verlässt. Dort gibt er sich als Sprössling der Liechtensteiner Industriellenfamilie Hilti aus und besucht eine teure Privatschule.

Mit dieser Hochstapelei beginnt eine sagenhafte Karriere, durch die Johann ein reicher Mann und zum Staatsfeind Nummer 1 seiner Heimat werden wird. Im Roman erfahren wir, wer ihm die Schule finanziert hat und manch andere Petitesse aus seinem Leben und Wirken als kleiner Dieb, Hochstapler und Betrüger, die bis heute bei seinem realen Vorbild Heinrich Kieber im Dunkel geblieben ist. Doch sonst hält sich Benjamin Quaderer in dem Roman an die verbürgte Lebensgeschichte von Kieber. Der wird mit internationalem Haftbefehl gesucht und lebt, vermutlich gedeckt vom Bundesnachrichtendienst, bis heute im Verborgenen. Er hat 2008 »tonnenweise Material«, wie es im Roman heißt, »aus dem Innersten der Finanzmafia« Liechtensteins an deutsche Behörden verkauft. Steuerfahnder aus Deutschland, den USA, Dänemark, Spanien, Italien und Großbritannien wurden daraufhin aktiv. Für die Finanzplätze Liechtenstein und Schweiz war das ein Supergau und für viele kleinere und größere Steuerbetrüger auch. Allein in Deutschland mussten über zwei Milliarden Euro Steuern nachgezahlt werden. Einen umfangreichen »Tatsachenbericht« darüber hat Heinrich Kieber selbst schon 2010 veröffentlicht, von Sigvard Wohlwend gibt es einen Film und ein Buch über den »Datendieb«. Und Benjamin Quaderer hat mit seinem Roman nun noch ein bisschen von jenem Stoff dazu erfunden, der die Wahrheit zurechtrückt und vor allem glänzend unterhält.

Benjamin Quaderer, »Für immer die Alpen«, Luchterhand Verlag, € 22,–

22.03.2020 | Jürgen Abel