Bernd Brunners »Buch der Nacht«
Nachtlektüre

Bernd Brunner, Foto: privat
Es beginnt mit einem kleinen Moment der Irritation, den wir oft kaum wahrnehmen, bis das ›crepusculum‹, wie die Römer die Dämmerung nannten, einsetzt und allmählich in die dunklere Phase der ›Blauen Stunde‹ übergeht, in der ein weiches Licht den Himmel tiefblau färbt. Der berühmte französische Parfümier Jacques Guerlain hat der ›Blauen Stunde‹ sogar eine Duftkomposition gewidmet, wie Frank Brunner zum Auftakt erzählt, bevor er in einem kurzen Text »Vom Wesen der Nacht« berichtet und von dem Paradox, dass uns ausgerechnet die Dunkelheit den Blick in die Unendlichkeit des Weltalls eröffnet.
Es sind diese vielen kleinen Beobachtungen, die seinen Streifzug durch die wundersamen Stunden zwischen Dämmerung und Morgengrauen so lesenswert machen. In kurzen Erzählungen, die meist nur wenige Seiten umfassen, beleuchtet er unser Verhältnis zur Nacht auf dem Grenzgebiet zwischen Geschichte, Mythologie, Biologie und Literatur. Da führt die »Muße nächtlicher Lesestunden« für einen kurzen Ausflug in die Bibliothek von Alberto Manguel, in »Wie wir schlafen« erfährt man, dass die Menschen, bevor sie über künstliches Licht verfügten, nicht durchgeschlafen haben, und in »Die Gedanken der Tiere in der Nacht«, dass auch Oktopusse träumen.
Ergänzt hat Frank Brunner seine Reise durch die Nacht durch einen riesigen Zitatenschatz, der im Buch in blauer Schrift abgesetzt ist. Er fügt sich zu einem vielstimmigen Kanon der Nacht, beginnend mit Laurie Anderson und Aristoteles, Alfred Brehm und Charlotte Brontë über Gotthold Ephraim Lessing, Georg Christoph Lichtenberg und Fernando Pessoa, bis zu Anna Seghers, Leonardo da Vinci und Stefan Zweig. Schon dafür lohnt sich die Lektüre.
Abschließend kann man nur sagen, dass dieses »Buch der Nacht« sich mit einem weithin strahlenden Licht des Geisteslebens vieler Jahrhunderte von den vielen Neuerscheinungen in der dunklen Jahreszeit abhebt. Es ist eine wunderbare Nachtlektüre.
Bernd Brunner, »Buch der Nacht«, Galiani-Berlin, € 28,–
18.10.2021 | Jürgen Abel