Dietmar Daths »Gentzen oder: Betrunken aufräumen«

Ein Möglichkeitsraum für Zukunftsfragen

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Dietmnar Dath, Foto: Hanke Wilsmann
Einer der literarisch und intellektuell herausforderndsten Romane des Jahres ist »Gentzen oder: Betrunken aufräumen« von Dietmar Dath. Es handelt sich um einen Genre-Roman und Science-Fiction-Roman, der Gegenwart und Zukunft in einem Möglichkeitsraum miteinander verknüpft, in dem von einer Gesellschaft geträumt und erzählt wird, die wir noch nicht kennen. Der Ausgangspunkt des auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis nominierten Romans ist dabei einer der ganz großen und doch nicht sehr bekannten Mathematiker und Logiker des 20. Jahrhunderts: Gerhard Gentzen.

Er ist einer der produktivsten und umtriebigsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur, seit seinem Debüt Mitte der 1990er Jahre hat er fast 30 Romane veröffentlicht, dazu kommen Sachbücher, Theaterstücke und Hörspiele. Dass Dietmar Dath auch noch als Journalist, vorwiegend zu gesellschaftlichen und popkulturellen Themen schreibt, seit Jahren im Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, wird bei all dem fast schon zur Randnotiz. Für die FAZ, erklärt Dietmar Dath in einem Video, in dem er seinen Roman zum Deutschen Buchpreis vorstellt, sollte er einen Artikel über Gerhard Gentzen schreiben, den er aber nicht schreiben konnte, weil ihm etwas an der Geschichte über Gentzen fehlte, das er in einem Artikel nicht unterbrachte. Das, was ihm fehlte, liegt jetzt in einem Buch mit über 600 Seiten vor, in dem der Autor auch selbst auftritt und an einem Roman über einen berühmten Logiker schreibt, dem wir zu Beginn dieses Romans in einer Gefängniszelle begegnen.

Gerhard Gentzen, im umfangreichen Personalbrevier des Romans als »deutsches Genie« vorgestellt, war ein Beweistheoretiker, dessen Arbeit bis heute von wesentlicher Bedeutung für die Computertechnologie ist. Er verhungerte 1945 in einem Gefängnis in Prag. Dietmar Dath wird 2002 auf ihn aufmerksam und erzählt es seinem damaligen Chef, dem damaligen FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der die Geschichte unbedingt in seiner Zeitung lesen will. Zu Dietmar Dath selbst, Gerhard Gentzen und zu Schirrmacher gesellt sich in dem Roman schnell ein ganzer Figurenreigen, darunter Lady Gaga, der »Geldheini« Jeff Bezos, eine schiefe Tante, sprechende Tiere und ein geheimnisvolles Wesen, das die Lebensgrundlagen auf der Erde gefährdet. Das wollen Dietmar, Laura und Jan so wie das gesamte Personal des Romans verhindern. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach der Grundlage unseres Lebens.

Dietmar Dath verknüpft Erzählstränge, die in der Vergangenheit, der Zukunft und der Gegenwart spielen zu einem breiten Panorama, dem eine Frage eingeflochten ist: Wie könnten wir leben, wenn wir die technischen Mittel, über die wir verfügen, so einsetzen würden, dass sie uns tatsächlich allen dienen? Das ist eine der wichtigsten Gegenwartsfragen, die auch dieser überbordende Roman nicht beantwortet, er gibt uns aber zur Schärfung der Vorstellungskraft, angelehnt an Gerhard Gentzen, immerhin ein großartiges Motto mit auf den Weg: »Denken heißt: betrunken aufräumen«.

Dietmar Dath, »Gentzen oder: Betrunken aufräumen«, Matthes & Seitz, € 26,–


18.10.2021 | Jürgen Abel
Bernd Brunner, Buch der Nacht