Dirk Stermann und Erika Freeman
»Zweifeln immer, verzweifeln nimmer«
Dirk Stermann und Erika Freeman, Foto: Ingo Pertramer
Die 1927 in Wien geborene Erika Freeman hat sich ihrer alten Heimat Österreich erst im hohen Alter wieder angenähert. Als sie 1961 zum ersten Mal seit ihrer Emigration mit 12 Jahren in die USA wieder nach Wien kommt, wird sie noch in der Hotelrezeption abgewiesen: »Wir nehmen keine Juden!« Regelmäßig nach Wien reist sie erst über fünfzig Jahre später, um als Zeitzeugin von ihrem Leben zu berichten. Dirk Stermann stellt sie uns in seinem Buch zuerst bei einer Begegnung mit Hillary Clinton auf einer Gala in New York vor. Für den Abend hat sie sich einen »goldenen Orden« an ihr Abendkleid geheftet, es ist das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Als Hillary sie fragt, was das sei, antwortet sie: »They tried to kill me, now they decorate me!«
Dieser bitterböse und so lebensfrohe Humor ist eine Art Leitmotiv des Lebens von Freeman, die nach ihrer Flucht aus Wien in einem Waisenhaus in New York aufgewachsen ist. Ihre Mutter Rachel Grau Schächter war die »wohl erste Hebräischlehrerin Europas«, eng befreundet mit Sigmund Freuds Tochter Anna und Vorbild für »Yentl«, die Hauptfigur des mit einem Oscar ausgezeichneten Films von Barbra Streisand, der nach einer Kurzgeschichte von Isaac Bashevis Singer entstand. Rachel starb kurz vor Kriegsende bei einem Bombenangriff in Wien. Ihre Tochter studierte in New York zuerst Politikwissenschaft, später Psychologie und wird als Analytikerin und Therapeutin in den USA zu einem Star
Erika Freeman hat nicht nur Anteil an der Staatsgründung Israels und berät Politiker:innen wie die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir, sondern wird zur mentalen Begleiterin von Hollywoodlegenden wie Marilyn Monroe, Elizabeth Taylor, Marlon Brando oder Woody Allen. Von all den Prominenten, denen sie in ihrem Leben begegnet ist, erzählt sie bei ihren Treffen mit Dirk Stermann im Hotel Imperial allerdings eher am Rande. Getragen wird das Buch von der großen Lebenslust, die Erika Freeman bis heute umtreibt und dem »Massel«, das sie immer noch hat, und in vielen kleinen und größeren Botschaften weitergibt.
Dirk Stermann und Erika Freeman, »Mir geht‘s gut, wenn nicht heute, dann morgen« (Rowohlt), € 24,–
01.12.2023 | Jürgen Abel