Das Hamburger Jahrbuch für Literatur ZIEGEL #17
Vom Glück unendlicher Weiten

Das Hamburger Jahrbuch für Literatur ZIEGEL #17, Foto: Timo Ruppel
Wir seien »von Haus aus eine geschwätzig plappernde Spezies«, schreibt der Philosoph Jürgen Habermas, und das Hamburger Jahrbuch für Literatur bestätigt das seit inzwischen fast 30 Jahren mit jeder Ausgabe, wobei man für den 17. ZIEGEL schon ergänzen darf, dass hier auf ganz unverwechselbare Weise ein großer Horizont in den Blick genommen wird. Beiträge von fast 60 Hamburger Autor*innen stehen im neuen ZIEGEL, dessen Name sich von dem bis heute dominierenden Baustoff in Hamburg ableitet, der aber auch durch seinen Umfang stets an einen Backstein erinnert. Zusammengehalten werden die 536 Seiten dieser Ausgabe durch Illustrationen des Hamburger Comiczeichners und Illustrators Sascha Hommer. Mit seinen Astronauten bricht der ZIEGEL in unendliche Weiten auf, sie tragen ihn kongenial als Buch im Buch in ferne Welten und sorgen damit unterwegs für jede Menge Aufregung. Doch auch sonst gibt es in dem sehr schön gestalteten ZIEGEL – schon die letzte Ausgabe stand auf der Shortlist der von der Stiftung Buchkunst prämierten schönsten und innovativsten Bücher des Jahres – jede Menge zu entdecken: Den Reigen der Beiträge eröffnet unter dem Titel »Kleine Dinge und andere Preziosen« Tamar Noort mit einem Auszug aus ihrem Roman »Ans Licht«. Er erzählt von einer Pastorin, die plötzlich die wichtigste Fähigkeit ihres Lebens verliert. Den magischen Momenten, die uns aus der Kindheit in Erinnerung bleiben, ist daraufhin Cornelia Manikowski auf der Spur, Farhad Showghi ermittelt »Fehler im Traum«, Paul Jennerjahn findet »Lazarus in den Dingen« und der Dramatiker Peter Thiers lädt zur Besichtigung »Paradiesischer Bauten« ein.
Das titelgebende Themenkapitel »Wir sind Astronauten« eröffnet Magdalena Saiger mit einem Auszug aus ihrem Roman »Was ihr nicht seht oder die absolute Nutzlosigkeit des Mondes«. Sie führt an einen einsamen Ort, der zum poetischen Freiraum für eine Suada über die Kunst und das Leben wird, die alle Gewissheiten in Frage stellt. Eine »Draufsicht« wagt auf ganz andere Weise auch Till Raether mit seiner dystopischen Satire über den Klimawandel, während die Heldin bei Friederike Gräff vom plötzlichen Schweben des eigenen Körpers über der Kirchenbank beim Gottesdienst überrascht wird. Die Erkundungen im darauf folgenden Kapitel »Blaue Blume im Gepäck« haben dann zwar keine höheren Sphären im Blick, aber doch eine sehnsuchtsvolle Ferne, während ein weiteres Themenkapitel dagegen fast profan wirkt: In einer »grand tour« mit Texten von u. a. Ulrike Syha, Heinz Strunk, Leonhard Hieronymi, Rasha Khayat und Katharina Hagena trifft sich unter dem Motto »Zarte Männlichkeit« so ziemlich alles, was heute ein Mann ist oder sein will. Und als Zugabe gibt es sogar eine kleine, aber feine Einführung in die »Strings« von Männern.
Zum Finale lädt der ZIEGEL schließlich noch zu »Irgendwas mit Tieren«, was ganz konkret heißt, dass es da um Schnecken geht, um Schafe und Waschbären. Ebenfalls im Aufgebot sind ein Schwein, eine Ziege und ein Mensch auf einer einsamen Insel, und ein Seehund kommt natürlich auch vor.
Abschließend kann man sagen, dass dieses Buch zu wahrhaft großen Erlebnissen einlädt, und es gibt am Ende von Ella Carina Werner auch noch die tröstende Erkenntnis mit auf den Weg: »Alles andere findet sich später.«
Jürgen Abel & Antje Flemming (Hg.), Hamburger Jahrbuch für Literatur ZIEGEL #17. Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien, erschienen im mairisch Verlag, 536 Seiten, Hardcover, Titelprägung, zweifarbiger Innenteil, blaues Lesebändchen, pinkes Vorsatzpapier, € 18,–
06.04.2021 | Literatur in Hamburg