Helge Timmerbergs »Lecko mio – Siebzig werden«

Verstreute Identitäten

Helge Timmerberg
Helge Timmerberg, Foto: Federico Balboa
Gewidmet ist dieses Buch einem Wiener Zahnarzt und seiner Gattin, deren Praxis auf Zahnimplantate spezialisiert ist. Das hat bei einem wie Helge Timmerberg natürlich Gründe. In seinem neuen Buch »Lecko mio« (Piper) ist er einmal mehr den »verstreuten Identitäten« seines Ichs auf der Spur, das in den letzten beiden Jahren jedoch nicht allzu weit in die Ferne schweifen konnte. Dennoch hat sich dem weitgereisten Autor ein ganz neuer Erfahrungshorizont offenbart. In »Lecko mio – Siebzig werden« (Piper) erzählt er davon.

Er war schon »Der Jesus im Sexshop«, ist auf Umwegen »Im Palast der gläsernen Schwäne« gelandet und »In 80 Tagen um die Welt gereist«, ein »Reise-ABC« gehört so selbstverständlich zu seinen Werken wie ein »Single-ABC«, und natürlich hat er sich auch schon dem »Tierleben« gewidmet. Seine Reisereportagen sind in so ziemlich allen namhaften Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen des Landes erschienen, er gilt als profunder Erzähler besonders auch seiner eigenen »märchenhaften Lebensreise«, seine Memoiren über sein Leben zwischen Bielefeld, Havanna und dem Himalaya sind 2016 unter dem Titel »Die rote Olivetti« (Piper Verlag) erschienen und waren ein Bestseller. Die Hauptrolle spielt Helge Timmerberg nun auch in seinem neuen Buch und das ist gut so, denn der Mann ist »Ready for everything«, wie sich schon im Eröffnungsstück zeigt. Da geht es um »Bauch, Beine, Po«, also die ausgewiesenen Problemzonen von Männern, die siebzig werden. Timmerberg verrät, dass er »mal einen Bauch« hatte, den er in aller Welt mit sich rumschleppe, bis er ihn zu Hause in St. Gallen auf den vielen Treppenstufen des »Dohlengässleins« endlich zur Kampfzone erklärte. In nur drei Monaten war der Bauch daraufhin weg, mit allerdings verheerenden Folgen. Die Niederlagen sind – altersbedingt – auch sonst ziemlich zahlreich in diesem Buch. Als besonders schmerzhaft erweist sich der tragische Verlust des Zahnarztes in Hamburg, bei dem Helge Timmerberg 30 Jahre lang in Behandlung war. Und seine »blutjungen, rattenscharfen und bildschönen Facebook-Freundinnen« sind, na ja, dann doch nicht das Richtige. Einen »Zombie« lässt er schließlich auch noch raus, weil ja bekanntlich »alle Extreme nach Berichterstattung schreien«. In diesem Fall geht es um Exkremente bei einer Lesereise. Wirklich schlimm, versprochen. So schlimm, dass man es eigentlich nicht wissen will. Doch genau diese heldenhafte Offenheit macht die Geschichten von Helge Timmerberg so lesenswert. Der Markenkern aus »Sex, Drugs und Rock‘n‘roll« dieses Alt-Hippies ist nach wie vor eine ziemlich solide Mischung, die beste Unterhaltung garantiert und mit ehrlichen Botschaften dealt: »Friede sei mit allen, die so sind wie ich. Friede sei mit dir in mir.«

Helge Timmerberg stellt »Lecko mio« am 13. April im Ballsaal des Uebel & Gefährlich vor.

➝ ➝ Uebel & Gefährlich, Ballsaal, Feldstr. 36, 21.00 Uhr, € 19,40

Helge Timmerberg, »Lecko Mio«, Piper, € 22,–


29.03.2022 | Jürgen Abel