Hernan Diaz`neuer Roman »Treue«

Das Evangelium des Geldes

Hernan Diaz
Hernan Diaz, Foto: Jason Fulford
Männer, Macht und Moneten, das ist eine Trias, die scheinbar unauflösbar zusammengehört. Heute fungieren Elon Musk, Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg als Figuren in den heroischen Geschichten, mit denen wir das Evangelium des Geldes konzertieren, aber man findet sie durch die Jahrhunderte. Hernan Diaz erzählt in seinem neuen Roman »Treue« (Hanser Berlin) von einem dieser Männer und überführt an seinem Beispiel in vier grandiosen erzählerischen Etappen den Mythos, von dem großer Reichtum stets umrankt ist, in die provokante Geschichte einer Emanzipation.

Benjamin Rask ist schon eine Wallstreet-Legende als er seine Frau Helen Brevoort kennenlernt. Die in Europa aufgewachsene, hochbegabte Tochter einer alten Familie aus Albany ist ebenso wenig am Gesellschaftsleben interessiert wie ihr ausschließlich auf seine Börsengeschäfte konzentrierter Mann, und so finden sie schnell in ein reibungsloses Eheleben. Während Benjamin immer größeren Reichtum anhäuft, führt seine Frau ein zurückgezogenes und durchaus glückliches Leben als feinsinnige Mäzenatin der Künste und Gastgeberin regelmäßiger Privatkonzerte in ihrer prunkvollen Villa an der 87th Street zwischen Madison und Fifth Avenue in New York. Erst der Börsencrash 1929 verändert dann alles.

Obwohl es Benjamin gelingt, auch aus dem Crash noch Kapital zu schlagen und das auf völlig legale Weise, wie ein Untersuchungsausschuss später feststellt, bezahlt er einen hohen Preis für sein unverschämtes Geschick. Helen zerbricht an den Anfeindungen und zahllosen Gerüchten, driftet ab in den Wahnsinn und findet in einem Sanatorium in der Schweiz einen schaurigen Tod. So zumindest will es die Legende, die der Roman »Verpflichtungen« von Harold Vanner in die Welt setzt, der 1937 zum Bestseller wird und auf 140 Seiten den Auftakt von Hernan Diaz‘ Roman bildet.

Als direkte Antwort auf Vanners Roman folgt ein Memoir aus dem Jahr 1938 von einem der reichsten Männer seiner Zeit: Andrew Bevel erklärt schon vorab, dass es ihm »ein dringliches Anliegen geworden« sei, einige Fiktionen klarzustellen und vor allem ein »liebevolles Portrait« seiner früh verstorbenen Ehefrau Mildred zu zeichnen. Tatsächlich bleibt das Bild von Mildred blass, während die Ausführungen über die Geschäfte, Ansichten und Urteile des Börsentycoons allzu selbstgefällig geraten. Warum das Methode hat, erfährt man in den »erinnerten Memoiren« der Schriftstellerin Ida Partenza, die den dritten Teil des Romans bilden. Die Villa der Bevels ist inzwischen ein Museum mit einer umfangreichen Bibliothek, in der auch das Privatarchiv mit ihren Schriften untergebracht wurde. Ida, Tochter eines italienischen Anarchisten, hat in der Villa als Privatsekretärin von Andrew ihre ersten schriftstellerischen Gehversuche gemacht, nachdem der sie für seine Memoiren einspannte. Jetzt ist sie auf der Suche nach Mildreds Tagebüchern und findet tatsächlich ein kaum leserliches Heft. Es trägt den Titel »Vereinbarungen« und bildet das letzte Puzzleteil der Geschichte.

Schon in seiner sprachlichen Brüchigkeit und Inkonsistenz hauchen die etwa 30 Seiten des Tagebuchs der bisherigen Lektüre einen neuen und viel gegenwärtigeren Ton ein. Durch das, was sich plötzlich als Gesamtbild zusammensetzt, erscheint alles bis dahin Erzählte in einem neuen Licht. Das verhängnisvolle Evangelium des Geldes verändert sich dadurch zwar nicht, aber was als eher betulicher Roman über einen reichen Mann, seinen Geltungsdrang und Gestaltungswillen begann, gipfelt endlich in einer Welt, in der das, was wirklich ist, auch sichtbar werden kann.

Hernan Diaz, »Treue«, Hanser Berlin, € 19,99

Am 14. September liest Hernan Diaz zum Harbour Front Literaturfestival in Hamburg bei Hapag Lloyd, Ballindamm 25, 19.30 Uhr, € 16, –
24.08.2022 | Jürgen Abel