Jan Wagner präsentiert beiläufige Prosa

»Der glückliche Augenblick«

Jan Wagner
Jan Wagner, Foto: Nadine Kunath
Für seinen Gedichtband »Regentonnenvariationen« wurde er 2015 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, 2017 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Viel mehr kann man als Lyriker in der deutschen Gegenwartsliteratur kaum erreichen als Jan Wagner, 1971 in Hamburg geboren. Er gilt als höchst virtuoser Botschafter seines Genres, ist aber auch als Essayist und als Übersetzer erfolgreich. Nach seinem Gedichtband »Die Live Butterfly Show« (2019) ist in diesem Frühjahr eine Sammlung mit »beiläufiger Prosa« erschienen: »Der glückliche Augenblick« (Hanser Berlin).

Die formale Virtuosität und Raffinesse von Jan Wagner ist oft gelobt worden, doch das große Publikum begeistert er vermutlich eher durch ein Gedicht über den Kuchenklassiker »gugelhupf«, das gleich auch noch das Grundrezept mitliefert. In seiner »Live Butterfly Show« widmet er dem »muff« ebenso ein Gedicht wie dem »rettich«, dem »weißkohl« oder »tante trudel«, auf die Sache selbst kommt es ihm nicht so sehr an, eher schon auf Neugierde und Genauigkeit im Blick auf seinen Gegenstand. Gleichzeitig ist Jan Wagner ein hochreflektierter Kenner des Genres, kaum jemand schreibt in Deutschland momentan so profund über Lyrik. In seinem Sammelband »Der glückliche Augenblick« findet sich nun nicht nur seine Rede »Unterm Sprachskalpell« zum Georg-Büchner-Preis 2015, sondern auch seine »Kleine Hölderlin-Etüde mit Obst«, in der er von einer »heimlichen Zentralfrucht in Hölderlins Werk« erzählt, ein Aufsatz »Über Lyrik und Fotografie«, seine Bamberger Poetikvorträge über Dylan Thomas, Inger Christensen, Zbigniew Herbert und Eugenio Montale, einen sehr schönen Aufsatz über Peter Rühmkorfs »Reimfibel«, »Fünf Mondpostkarten aus dem Iran« und seine Einführung in den »Endymion« von John Keats, der 2018 erstmals vollständig in einer deutschen Übersetzung von Mirko Bonné erschienen ist. Es ist eine wunderbare Fundgrube, die man ganz besonders zur Lektüre empfehlen kann, weil es hier durchaus nicht nur auf den Gegenstand selbst ankommt. Jan Wagner erweist sich auch in seinen Essays als höchst charmanter Erzähler, für den Poesie und Anverwandtes stets auch ein Einladung zu einer ganz besonderen Entdeckungsreise hinaus in die Welt ist.

Eine »Lesung unterm Kirschbaum« mit Jan Wagner findet am 12. August bei Anja Schwennsen im Garten statt, Wulmstorfer Ring 9a, Fischbek, 19.30 Uhr, Eintritt: Spende, Anmeldung per E-Mail an: Anja@Schwennsen.de

Jan Wagner, »Der glückliche Augenblick«, Hanser Berlin, € 25,–


29.03.2021 | Jürgen Abel