Jarka Kubsovas Roman »Marschlandee«

Eine Alte Geschichte in neuem Licht

Jarka Kubsova
Jarka Kubsova, Foto: Christoph Niemann
Eine Hamburger Sage überliefert seit Jahrhunderten die Geschichte der schönen, alleinstehenden Bäuerin Abelke Bleken, die im März 1583 als Hexe verurteilt und verbrannt wurde. In ihrem neuen Roman »Marschlande« (S. Fischer) rekonstruiert die Hamburger Autorin Jarka Kubsova die Ereignisse, die damals zu einer Anklage wegen »Schadenszauberei« und »Teufelsbuhlschaft« führten und verschränkt sie mit der Suche einer Frau und Mutter nach einem selbstbestimmten Leben in der Gegenwart.

Wie die Sache ausgeht, ist schon nach wenigen Seiten klar: Ein Büttel und sein Helfer bauen auf einer Wiese im Marschland einen Scheiterhaufen, und sogar der Wind scheint plötzlich still zu stehen, als sich der Wagen mit der verurteilten Hexe nähert. Ganz in der Nähe des Schauplatzes dieser schaurigen Zeremonie versucht Britta fast fünfhundert Jahre später ihrer pubertierenden Tochter Mascha und ihrem jüngeren Sohn Ben zu erklären, dass die Marschlandschaft mit ihren flachen Wiesen und den vereinzelten Baumgruppen nicht am Ende der Welt liegt. Doch eigentlich fällt es der promovierten Geographin, die ihre Karriere für die Familie aufgegeben hat, selbst schwer, in dem neuen Zuhause anzukommen.

Die Kinder vermissen ihre Freunde und ihr fehlt die Lebendigkeit des Hamburger Innenstadtviertels, in dem sie vorher zu Hause waren. Dabei hat sich mit dem eigenen Haus und Garten für sie und ihren Mann Philipp ein gemeinsamer Traum erfüllt. Während Philipp darin aufzublühen scheint, versucht Britta bei langen Spaziergängen durch die karge Landschaft endlich anzukommen. Sie lernt in Bracks und Deichlinien die Spuren der Vergangenheit zu lesen – und stößt durch ein Straßenschild auf die Geschichte von Abelke Bleken.

Im Wechsel zwischen der Gegenwartserzählung und Brittas Blick in die Vergangenheit fächert der Roman nach und nach die Lebensgeschichte einer selbstbewussten Bäuerin auf, die in Ochsenwerder einen eigenen Hof besaß und wohl deshalb als Hexe verbrannt wurde. Der Prozess, in dem man sie verurteilte, ist gut dokumentiert. Auch die Lebensumstände und Ereignisse, die dazu führten, dass Abelke Bleken ihren Hof in Ochsenwerder verlor, lassen sich heute nachvollziehen. In einem Nachwort berichtet Jarka Kubsova, welche Teile von ihrem Buch auf Tatsachen beruhen – und es bleibt zwar eine Vermutung, dass Abelke Bleken durch einen skrupellosen Hamburger Ratsherrn um Haus und Hof gebracht wurde, aber sie ist sehr naheliegend.

In der Gegenwart sollte Britta heute ganz andere Probleme haben als eine Abelke Bleken in ihrer Zeit, würde man annehmen. Doch es gibt da eine sehr alte Geschichte, an der sich in all den Jahrhunderten wenig geändert hat. Wenn Frauen ihre eigenen Wege gehen, auf Selbstständigkeit und Unabhängigkeit beharren, macht sie der Bruch mit verbreiteten Rollenvorstellungen angreifbar. Abelke Bleken war in ihrer Zeit deshalb nahezu schutzlos. Für den Hamburger Herrn, mit dem Britta am Ende dieses Romans konfrontiert ist, gilt dagegen: Man(n) kann es ja mal versuchen. Happy End nicht ausgeschlossen.



Jarka Kubsova, »Marschlande« (S. Fischer), € 24,–

30.10.2023 | Jürgen Abel