Jasmin Schreibers Roman »Endling«

Die letzte ihrer Art

Jasmin Schreiber
Jasmin Schreiber, Foto: privat

Als Schriftstellerin, Biologin, Bloggerin und Krabbeltier-Enthusiastin stellt sich auf ihrer Website Jasmin Schreiber vor, die »mit einer unübersichtlichen Anzahl an Tieren und Pflanzen in Hamburg« lebt: Asseln, Spinnen, verschiedenen Schneckenarten, Gottesanbeterinnen, Käfern, Würmern, und zwei Hunde gehören auch zur Familie. In ihrem neuen Roman »Endling« (Eichborn) bilden Tiere vom Taubenschwänzchen über die Achateule bis zur Hani-Bänderschnecke einen schönen Leitfaden durch eine spannende Geschichte. Sie spielt in einer dystopischen Welt des Jahres 2041.

Während der Klimawandel nur noch von einer kleinen Minderheit geleugnet wird, sind die beiden anderen, nicht geringeren Katastrophen unserer Zeit, viel weniger im allgemeinen Bewusstsein angekommen – der ungebremste Biodiversitätsverlust und die Gesundheitskrise. In einem Blogeintrag, mit dem sie »das Unfassbare fassbar machen« will, berichtet Jasmin Schreiber davon, wie es ihr als Wissenschaftlerin damit geht, das »sechste Massenaussterben« der Erde zusammen »mit zehntausenden anderen Forschenden« zu verwalten: »Ich katalogisiere; dazwischen weine ich manchmal, schimpfe und fluche, aber ich hoffe auch immer wieder, weil ich sonst komplett verrückt werde.«
In der Welt des Jahres 2041, in der ihr Roman »Endling« spielt, ist die »Klimadiktatur«, die sie in ihrem Bericht als Konsequenz aus unserer Untätigkeit heute prophezeit, längst Alltag. Mehrere Pandemien haben die Gesellschaft tief verstört, es gibt Abtreibungs- und Verhütungsverbote, das Internet wird überwacht und zensiert, viele Sozialleistungen wurden ebenso gestrichen wie Gelder für Forschung und Lehre.

Zum Auftakt von »Endling« begegnen wir der Erzählerin Zoe in ihrem Büro in München, sie ist Biologin und forscht über Käfer. Ihre Familie, die in Frankfurt lebt, hat sie schon länger nicht mehr besucht, doch jetzt kehrt sie für ein paar Wochen zurück nach Hause, weil ihre Mutter zur Kur muss. In Frankfurt ist sie dann unversehens nicht nur mit den Problemen ihrer Teenager-Schwester Hanna konfrontiert, die den frühen Tod ihres in der Pandemie gestorbenen Vaters nicht verkraftet hat, sondern auch mit ihrer sehr eigenwilligen und tief gestörten Tante Auguste. Die Wissenschaftlerin traut sich aus Angst davor, sich anzustecken, nicht mehr aus ihrer Wohnung, in der sie allein mit ihrem Haustier und größten Schatz, einem »Endling« lebt: »HP14« ist eine Weinbergschnecke, und zwar die letzte ihrer Art.

Das alles kommt zu Anfang eher wie eine schrullig-charmante Familiengeschichte daher, doch der Roman nimmt schnell Fahrt auf, und während die Mistbiene, die Amazonenameise, die Aaskrähe und der Herkuleskäfer als Kapitelüberschriften vorüberziehen, landet man unversehens in einem rasanten Roadmovie, in dem ein anonymes Kollektiv von Wissenschaftlerinnen aufritt, matriarchale Dorfgemeinschaften ebenso entdeckt werden wie ein Rudel knochenbrechender Hunde in den Bergen und ein unheimlicher Wald in Schweden, den Männer besser nicht betreten sollten. Immer mit dabei ist »HP14«, in der Hoffnung, dass sich für den »Endling« doch noch ein Paarungspartner findet. Wen wundert‘s, dass die Sache am Ende nicht wirklich gut für »HP14« ausgeht. Ein Happy End für die Schneckenpopulation gibt es aber doch, und eine seit Millionen Jahren andauernde Erfolgsgeschichte setzt sich fort.

Jasmin Schreiber, »Endling« (Bastei Lübbe), € 23,–

28.11.2023 | Jürgen Abel