John Nivens Memoir über seinen Bruder
»O Brother«
John Niven, Foto: Erik Weiss
In einer seiner frühen Erinnerungen saust sein zwei Jahre jüngerer Bruder Gary mit nur fünfzehn Monaten auf einem Plastik-Beagle mit Schlappohren und Rädern statt Pfoten den Hang vor ihrem Haus hinunter, landet dabei kopfüber auf der Straße und schlägt sich die Lippen auf. Für die allermeisten Kinder wäre das eine ausreichende Mahnung gewesen, es beim nächsten Mal vorsichtiger anzugehen, nicht so für Gary, der rast mit seinem Gefährt schon einen Tag später noch ein bisschen schneller davon – und auf eine vielbefahrene Straße zu.
Es ist nur eine Episode aus einem reichhaltigen Fundus der Erlebnisse mit seinem Bruder, die später regelmäßig in die Frage mündet: »Warum?« Vieles von dem, was die so verschiedenen Lebenswege der Brüder begründet, zeigt sich früh – Garys »Wagemut, der Leichtsinn, die Furchtlosigkeit« – und liefert doch kein vollständiges Bild. .
Während John sich aus der schottischen Provinz herausarbeitet, eine akademische Laufbahn einschlägt, in Bands spielt, Musikmanager wird und später ein erfolgreicher Romanautor, driftet Gary ab, verliert den Halt und wird drogenabhängig. 2010 begeht er im Alter von zweiundvierzig Jahren in einem Krankenhauszimmer Selbstmord. Er hinterlässt keinen Abschiedsbrief und dafür umso mehr Fragen. John Niven begibt sich in seinem Buch auf eine Spurensuche und verbindet sie mit einer sehr aufrichtigen Lebensbeichte und Liebeserklärung an das Leben und einen Bruder, der diesem Leben nicht gewachsen war.
John Niven, »O Brother« (btb), € 24,–
01.03.2024 | Jürgen Abel