Jonas Lüschers »Verzauberte Vorbestimmung«
Von Menschen und Maschinen

Jonas Lüscher, Foto: Peter Hassiepen
In einem kurzen Interview mit dem Hanser Verlag gibt Jonas Lüscher einen Hinweis, der ins Zentrum seiner Poetik führt und gleichzeitig eine gute Einführung in seinen neuen Roman ist. Auf die Frage, ob sich sein Roman in ein paar kurzen Sätzen zusammenfassen ließe, erklärt er, dass das »mit etwas mehr Zeit« schon möglich sei, aber es ihm eher »um die Zusammenhänge geht, darum, in welchem Verhältnis die verschiedenen Erzählstränge zueinanderstehen«. Es ist ganz hilfreich, sich das bei dem wilden Ritt durch die Zeiten, zu dem er mit »Verzauberte Vorbestimmung« einlädt, immer mal wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Was den Roman zusammenhält, sind ein Icherzähler, ein Thema, das sich im weitesten Sinn als Beziehung des Menschen zur Technik zusammenfassen lässt, und schließlich auch die schwere Coronaerkrankung des Autors, die er nur dank diverser Maschinen überlebt, an die er im wochenlangen künstlichen Koma angeschlossen ist. Einen Plot oder auch nur eine zusammenhängende Erzählung gibt es dagegen nicht. Dennoch ist man mit einem algerischen Soldaten sofort von einem Szenario gefangen, das eindurcksvoll die Grundmotive des Romans anstimmt. Er kauert im ersten Kriegsjahr des Ersten Weltkrieges in einem Schützengraben, völlig unvorbereitet und überrascht von der mörderischen Radikalität der modernen Kriegsführung, bis er eine Entscheidung trifft und einfach vom Schlachtfeld marschiert.
Weiter geht es mit dem »Traum eines Briefträgers«, einer Reise auf den Spuren des Schriftstellers und Malers Peter Weiss in Frankreich, mit einem Weber in Böhmen zeigen sich die Verwerfungen durch die erste industrielle Revolution und im Kairo der Zukunft beobachtet eine Stand-up-Comedienne eine Androidin beim Lachen über ihre Witze. Das Hin- und Herspringen zwischen den Zeitläufen ist eine Herausforderung bei der Lektüre des Romans, aber eben auch ein Spiegel der komplexen Zeiten, in denen wir leben und eine Einladung, sich ihnen mit eigenen Gedanken und Empfindungen anzunähern.
Kein anderer Roman wurde in den letzten Monaten so euphorisch gefeiert wie dieser, sogar von einem »Jahrhundertroman« (Wiebke Porombka), einem »neuen ›State of the Art‹ im Romanschreiben« (Sigrid Löffler), einem »Donnerschlag« (Andreas Platthaus) und »Erwachen« (Iris Radisch) wird da geschwärmt. Das ist sogar in der Literaturkritik, in der Begeisterungsfähigkeit zum Geschäftsprinzip gehört, nicht so ganz alltäglich.
Jonas Lüscher, »Verzauberte Vorbestimmung«, Hanser, € 26,–
30.04.2025 | Jürgen Abel