Joshua Cohens neuer Roman »Witz«

»Das berühmte Oktadekamega«

Joshua Cohen
Joshua Cohen, Foto: Adam Gong
Er ist ein Tech-Gelehrter und kennt sich glänzend in der Bibel, in der Philosophie, der Geschichte und Literatur aus. Doch Joshua Cohen, der 2015 von der Zeitschrift »Granta« zu einem der zehn besten jungen amerikanischen Autoren der Gegenwart gewählt wurde, schreibt nicht nur Romane und Erzählungen, sondern auch für Magazine und Zeitschriften, er ist der Ghostwriter von Edward Snowden und übersetzt aus dem Deutschen und Hebräischen ins Englische. Als sein Opus Magnum gilt der 2010 im Original erschienene, 900 Seiten starke Roman »Witz«. Ulrich Blumenbach hat das »Abenteuer« auf sich genommen, den Roman zu übersetzen. In diesem Frühjahr ist er nun bei Schöffling & Co. erschienen.

Drei allseits gefeierte Romane und einen Erzählband von Joshua Cohen gibt es bisher in deutschen Übersetzungen: Als grandioser Epochenroman des Internetzeitalters gefeiert wurde sein »Buch der Zahlen« (2015), sein Romandebüt »Solo für Schneidermann« (2007) zeichnet in einer wilden Suada voller komischer Momente ein ungewöhnliches Künstlerportrait, und sein zuletzt in der deutschen Übersetzung von Ingo Herzke erschienener Roman »Auftrag für Moving Kings« ist eine mit »brillantem Witz« (Rainer Moritz) erzählte Satire und »Fabel vom menschlichen Makel als Slapstick-Komödie« (Felix Stephan in der »SZ«). »Auftrag für Moving Kings« ist im Oeuvre von Joshua Cohen zudem ein eher schmaler Roman, der sich schon deshalb als Vorprogramm für die scheinbar endlose Fabulierwerkstatt von »Witz« empfiehlt.

Der vielfach ausgezeichnete Übersetzer Ulrich Blumenbach war mehrere Jahre mit der Übersetzung beschäftigt, er ist ein Spezialist für komplexe Stoffe, doch auch für ihn war die »eigentümlich schillernde, phantastisch verdichtete und zu rhetorischen Exzessen gesteigerte Schönheit« der Prosa von Cohen eine Herausforderung, für »die er die Grenzen dessen, was freies Übersetzen bedeutet, immer weiter hinausschieben« musste, wie er in einem Artikel in der »Neuen Zürcher Zeitung« schrieb. Der Grund dafür ist, dass schon Cohens Vokabular, einen normalen »Mentschn« ziemlich beansprucht, obwohl es schon auch ein großer Spaß ist, wenn da plötzlich eine »Drei kehrgeumt«, der Rabbi in »dunklen Stopfwurstsocken« am Bettrand sitzt, der »Saftwasserwein« zu Kopf steigt oder die »Caterer für den Briss« leider »die Passierscheine verloren haben«. Hier deckt der Text immerhin nicht nur auf, worum es sich bei diesem »Briss« handelt, sondern schweift zudem sehr poetisch zum »Briss der geflügelten und glühenden Vorhaut namens Seele« ab. Komplexer wird es dann bei einer »Frage von in Anführungszeichen Weltbedeutung«, die viele Millionen von Antworten verlangt, genaugenommen nämlich »das berühmte Oktadekamega«. Das sind nur einige Beispiele aus dem wahrlich großen Textraum dieses Romans, der zudem mit enzyklopädischen Anspielungen und jüdischer Populärkultur angereichert ist und sich bei den Orten und Chronologie nicht an die Einheit Raum, Zeit und Handlung hält.

Erzählt wird in »Witz«, wie schon in Cohens Debüt »Solo für Schneidermann«, vom Holocaust und dem Judentum im 20. Jahrhundert. Da wird an Weihnachten vollständig ausgewachsen und mit Bart und Brille in New Jersey Benjamin Ben Israel Israelien geboren. Er ist der einzige Überlebende einer mysteriösen Seuche, von der die gesamte jüdische Bevölkerung der USA dahingerafft wurde. Zuerst wird Ben zur Kultfigur, als das Judentum auf einmal schick wird. Doch später wird in diesem Roman der Umkehrungen und Rollenspiele auch er wieder zum Ausgestoßenen und Gejagten und wiederholt das Leben in der Diaspora. Das ist die Rahmengeschichte. Joshua Cohen zieht in dem Roman alle Register der Komik und Parodie, mischt Biblisches mit Stand-up-Comedy, Hochkultur mit Trash, Familiengeschichte mit Slapstick.

Nur selten empfiehlt sich vor der Lektüre so dringend eine Einführung in den umfangreichen Stoff und die Mechanik des Textes wie bei diesem Roman: Gelegenheit dafür gibt es bei der deutschen Buchpremiere im Literaturhaus, wo Joshua Cohen seinen Roman vorstellen und zusammen mit Ulrich Blumenbach von der Entstehung und der Übersetzung des Romans ins Deutsche erzählen wird.

Die deutsche Buchpremiere mit Joshua Cohen uns seinem deutschen Übersetzer Ulrich Blumenbach findet am 15. März statt.
➝ Literaturhaus, Schwanenwik 38, 19.30 Uhr, € 14,–/10,–, Streaming € 5,–, literaturhaus-hamburg.de


Joshua Cohen , »Witz«, Schöffling & Co., € 38,–


01.03.2022 | Jürgen Abel