Der neue Roman von Julia Schoch

Herzensangelegenheiten

Julia Schoch, Foto: Jürgen Bauer
Für die ersten beiden Romane ihrer »Biographie einer Frau« wurde Julia Schoch mehrfach ausgezeichnet und in der Kritik als »Virtuosin des Erinnerungserzählens« (FAZ) gefeiert. Jetzt ist mit »Wild nach einem wilden Traum« (DTV) der dritte Band der Trilogie erschienen. Es ist erneut ein glänzend erzählter Pageturner, tiefgründig und gleichzeitig leicht. Allen drei Romanen gemeinsam ist, dass sie mit einem Paukenschlag beginnen, mit einem Ereignis, das die Erzählerin dazu zwingt, ihr Leben zu revidieren, ihre Sicht auf die Dinge, ihre Arbeit und die Menschen, die ihr nahestehen.

Vor einigen Jahren wurde Julia Schoch nach einer Lesung von einer fremden Frau angesprochen, die ihr sagte, dass sie denselben Vater hätten. Davon erzählt sie im Auftaktband ihrer Trilogie »Das Vorkommnis«. Die überraschende Begegnung bleibt flüchtig und erschüttert sie dennoch so grundlegend, dass sie sich plötzlich in ihrem Leben umschaut »wie in einer fremden Wohnung«. Es ist eine Zäsur, durch die nicht nur die Geschichte ihrer Familie auf den Prüfstand kommt, sondern auch Fragen über Ehe und Mutterschaft drängen sich auf und über Adoption. Nicht weniger spektakulär beginnt »Das Liebespaar des Jahrhunderts«, der darauf folgende Roman: »Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich.« Mit diesem höchst lakonischen Entschluss, der in die Erkenntnis mündet, dass »sich das Wichtigste im Leben mit sehr wenigen Wörtern sagen« lässt, beginnt einer der schönsten Liebesromane der letzten Jahre, obwohl er davon erzählt, wie eine große Liebe sich nach und nach in der Geschäftigkeit des Alltags verliert.

Das Programm für den dritten Teil der Trilogie kann man in dem Band »Love love love: Ein Gruß aus der Zukunft« (Conte) von Julia Schoch nachlesen, der in der Reihe »Reden an die Abiturient*innen« erschienen ist: »Stürzen Sie sich vor allem in die Liebe. Verschwenden Sie sich. Sparen Sie sich und Ihre Gefühle nicht auf. Seien Sie nicht pragmatisch, seien sie nicht zaghaft und vor allem nicht zynisch. Seien Sie großzügig und mutig, wenn es um die Angelegenheiten des Herzens geht.« Wie in den vorangegangenen Bänden wird man auch in »Wild nach einem wilden Traum« gleich zum Auftakt von der Erzählerin mit einem Bekenntnis überrascht: Obwohl es schon einen Mann in ihrem Leben gibt, mit dem sie glücklich verheiratet ist, will sie »den Katalanen« ganz »unbedingt«, und nur ein Fingerschnippen des noch nicht einmal besonders attraktiven Schriftstellers genügt, damit sie ihm auf sein Zimmer folgt.

Zu der so leidenschaftlichen wie folgenreichen Affäre kommt es an einem entlegenen Ort im Hudson Valley, wo eine Gruppe Kunstschaffender für einige Zeit durch ein Stipendium zusammenfindet. Für die junge Erzählerin, die in Deutschland als Literaturwissenschaftlerin an einer Universität unterrichtet, steht durch die neue Liebe plötzlich ihr gesamtes Lebenskonstrukt in Frage. Obwohl ihre Begegnung mit dem Katalanen vordergründig folgenlos bleibt – das Paar einigt sich sehr schnell darauf, dass es bei einer Affäre bleiben soll – prägt das Ereignis dieser Liebe die kommenden Jahrzehnte und strahlt sogar in die Vergangenheit aus. Kunstvoll verknüpft Julia Schoch in dem Roman die Erinnerung an die Liebesaffäre mit der heimlichen Begegnung mit einem Soldaten in ihrer Jugend, der ihr eines Tages euphorisch zuruft: »Man muss wild danach sein. Wild nach einem wilden Traum.« In diesem expressiven Credo liegt all das, was diesen wundervollen Roman auszeichnet, mit dem Julia Schoch ein hohes Lied auf die Liebe anstimmt und gleichzeitig von der Initation einer Schriftstellerin erzählt.

Julia Schoch, »Wild nach einem wilden Traum«, DTV, € 23,–

28.01.2025 | Jürgen Abel