Katrin Seddigs neuer Roman »Nadine«

Den Ausweg finden

Katrin Seddig
Katrin Seddig, Foto: Bruno Seddig
Die Hamburger Schriftstellerin Katrin Seddig ist eine so kluge wie mitreißende Erzählerin. Zuletzt hat sie mit ihrem Roman »Sicherheitszone« (2020) in der radikalen Ausnahmesituation des G20-Gipfels einen unbefangenen Blick in die erschütterbare Mitte der Gesellschaft geworfen und wurde dafür mit dem Hamburger Literaturpreis und kurz darauf mit Hubert-Fichte-Preis ausgezeichnet. In ihrem neuen Roman »Nadine« (Rowohlt Berlin) erzählt sie die Geschichte der Selbstermächtigung einer Frau. Sie beginnt mit einer furchtbaren Nachricht.

Wie komme ich da bloß wieder raus? Das ist die einigermaßen absurde Frage, die sich Nadine stellt, obwohl die Sache ja endgültig ist und es deshalb keinen Ausweg geben kann. Ihre Tochter Mizzi ist »unter den Zug gekommen«, sagt ihr Mann Frank, und spricht es damit nicht aus, dass Mizzi sich umgebracht hat. Es dauert Monate, bis Nadine sagen kann, was passiert ist, auch ihrem Vater gegenüber kann sie es nicht aussprechen. Sie schweigt mit ihrem Mann, der sich in seiner Trauer noch mehr verschließt, und reagiert mit einem Witz auf die Beileidsbekundungen des Anwalts, bei dem sie als Rechtsanwaltsgehilfin arbeitet.
Es ist eine anfänglich noch stille Revolution, die sich mit dieser Verweigerung, ihre Trauer zu zeigen, ankündigt, doch nach und nach verändert sich etwas. Nadine, die es bisher stets allen recht machen wollte, beginnt, ihren eigenen Weg zu gehen. Und als sich dann herausstellt, dass es doch irgendwie alles ganz anders ist, begibt sie sich auf einen gnadenlosen Rachefeldzug. Kathrin Seddig erzählt diese Geschichte fast schon beiläufig, humorvoll, stets ihren Figuren zugewandt und in einer brillant durchgetakteten Dramaturgie. Im furiosen Finale des Romans wird noch einmal sehr deutlich, dass manche Dinge endgültig sind, und es doch stets einen Ausweg gibt. Wir müssen ihn nur auch finden.

Katrin Seddig, »Nadine«, Rowohlt Berlin, € 24,–


28.03.2023 | Jürgen Abel