Leif Randts Roman »Allegro Pastell«

Akuter Crush, Echtes Enjoyment

Leif Randt
Leif Randt, Foto: Zuzanna Kaluzna
In seinem neuen Roman »Allegro Pastell« (Kiepenheuer & Witsch) erzählt Leif Randt eine beinahe klassische Liebesgeschichte. Da sind zwei, die zueinander passen, sich finden, sich lieben – und sich doch nicht kriegen. In der Literatur wurden aus diesem Stoff schon viele große und vor allem auch leidvolle Dramen gewebt. Bei Leif Randt köcheln die Ereignisse nun in konstant mittlerer Betriebstemperatur vor sich hin, kunstvoll zwischen Ironie und Ernst, zwischen Spaß und tieferer Bedeutung changierend, ohne sich je selbst zu entlarven. Sie erzählen von einem kurzen Moment größten Glücks und seinen Schattierungen in den verschwimmenden (Pastell-)Farben eines kaum fassbaren Hier und Jetzt.

Die großen politisch-gesellschaftlichen Konflikte, von denen wir glauben, dass sie unsere Gegenwart in besonderer Weise bestimmen, die harten Beats des Weltorchesters, sind in diesem Roman auf ein Minimum heruntergeregelt. Dabei gibt es sie in der Zeit vom Frühling 2018 bis zum Sommer 2019 durchaus in den Alltag belastender Intensität. Da sind die Klimakrise, der Brexit oder Donald Trumps unsäglich primitive Tweets. All das berührt auch ganz private Ereignisse des Lebens. In diesem Roman wird es kaum je einmal erwähnt. Dennoch gelingt Leif Randt nach zwei dystopischen Romanen, die in einer nicht allzu fernen Zukunft spielen, mit »Allegro Pastell« die perfekt austarierte Inszenierung einer Zeitenwende in der Gegenwart. Denkbar konventionell ist dabei der Gegenstand seiner Geschichte: Jerome Daimler, freier Webdesigner, und die erfolgreiche junge Schriftstellerin Tanja Arnheim haben einen »akuten Crush«, wie es auf Neudeutsch in dem Roman heißt, sie sind so richtig verknallt und führen eine bewusst beibehaltene Fernbeziehung zwischen Berlin und Maintal bei Frankfurt am Main. Verbunden bleiben sie sich über unzählige Mails und Textnachrichten, da funkt es pausenlos in und auf allen möglichen Kanälen hin und her. Flankiert wird ihre Liebe von einem obsessiven romantischen Diskurs, den die Protagonisten in pausenlosen Reflektionen über sich, ihre Bedürfnisse und Erlebnisse, ihr Handeln und Fühlen einbringen. Oft geht es dabei um eine »Verbesserung des eigenen Lebensgefühls« und »das tatsächliche Enjoyment« durchaus auch für andere. Achtsamkeit ist ihr wichtigstes Gebot, es kommt gleich nach dem Anspruch, alle nur denkbaren Erfahrungen (Drogen) und Zerstreuungen (Bars, Partys) mitzunehmen, ohne dabei jedoch aus dem Blick zu verlieren, dass sie auch »ein starkes Bedürfnis« danach haben, »sich regelmäßig schweigend an ihren Laptop zurückzuziehen«. Tanja findet »Einkehr im Tippen von Sätzen, Jerome im Tippen von Codes«. Um Arbeit geht es ihnen dabei nicht, »sondern darum, sich ruhig und sicher zu fühlen«.

Goethes berühmtem Credo entgeht aber auch dieses so kunstvoll ausbalancierte Liebespaar nicht: »Freudvoll / Und leidvoll«, das ist die Liebe auch hier, allerdings endet sie nicht »In schwebender Pein, / Himmelhoch jauchzend, / Zum Tode betrübt«, sondern in dem profanen Einverständnis damit, dass das Leben weitergeht und »noch lang« sein wird. Tanja und Jerome sind das Liebespaar einer Zeit, in der die Vernunft zur normativen Kraft des Fiktiven geworden ist. Das ist die Umkehrung und vermutlich Ultima Ratio dessen, was bisher für das Genre des Popromans galt, und erweitert es in der Gegenwart so noch einmal in einer gültigen Form.

Muss man hier abschließend noch erwähnen, dass kein anderer Roman in diesem Jahr in der Literaturkritik so euphorisch besprochen wurde. In der »ZEIT« wird von einem der wichtigsten Romane der deutschen Gegenwartsliteratur seit Jahrzehnten geschwärmt. Gegenstimmen gibt es natürlich auch, aber wer mitreden will, muss das Wagnis eingehen, sich dem esoterisch pastellverwehten Leuchten dieses Romans auszusetzen.

Leif Randt, »Allegro Pastell«, Kiepenheuer & Witsch, € 22,–.


07.11.2020 | Jürgen Abel