Literarische Streifzüge in Hamburg

»Die rege Freiheit überall«

Friedrich Schiller im Reisemantel, Hamburg Dammtor
Friedrich Schiller im Reisemantel und mit Buch in der Hand vor dem CinemaxX am Dammtor © Jabel
Bei literarischen Streifzügen, ob zu Fuß oder mit dem Fahrrad, gibt es in der oft als kulturfern gescholtenen Handelsstadt Hamburg jede Menge zu entdecken. Drei Bücher empfehlen sich für die Planung von Ausflügen an die Schausplätze der Hamburger Literatur.

Wenn man von der Überseebrücke aus Richtung Elbphilharmonie blickte, sah man sie wochenlang eins nach dem anderen an der Mole liegen, die Ausflugs- und Partyschiffe, die sonst emsig von morgens bis spät abends auf Alster und Elbe entlang schipperten. Wie ungewöhnlich dieser Stillstand war, zeigt ein Blick in die Literaturgeschichte: Schon der Hamburger Dichter Friedrich von Hagedorn (1708-1754) hat die »liebliche Fahrt« über die Alster »in Nächten voll Vergnügen« besungen und schwärmte von der »regen Freiheit überall«, die »Hammonia! des Walles Pracht« erfüllte. In diesem Sommer werden solche Ausflüge nur eingeschränkt möglich sein. Ganz anders ist das bei literarischen Streifzügen durch die Stadt, ob zu Fuß oder mit dem Fahrrad, es gibt keinerlei Beschränkungen und jede Menge Schauplätze zu entdecken.

Hamburg wurde oft schon als kulturferne Handelsstadt gescholten, legendär ist die Hassliebe, die Heinrich Heine mit der Hansestadt verband. Über sechs Jahre hat er in dem »Kaufmannsnest« verbracht und kommt bei einem seiner späteren Besuche zu dem Schluss: »Schöner Süden! Wie verehr ich / Deinen Himmel, deine Götter, / Seit ich diesen Menschenkehricht / Wiederseh, und dieses Wetter!« Zum Dichter wird er dennoch ausgerechnet in Hamburg, darin sind sich seine Biografen einig. Und auch sonst ist an dem verbreiteten Vorurteil über das »Kaufmannsnest« allenfalls richtig, dass Hamburg auf sein reiches kulturelles Erbe mit hanseatischem Understatement eher selten öffentlich hinweist, das tun jedoch gleich mehrere sehr gute Bücher, mit denen man sich auf eine Entdeckungsreise begeben kann. Als so kompetente wie unterhaltende Begleitung vor allem in der Innenstadt bietet sich »Hamburg zum Verweilen« (Reclam) an. Im handlichen Taschenformat, schön gestaltet von der Hamburger Künstlerin Katinka Reinke und mit praktischen Ausklappkarten im Innencover, haben Antje Flemming und Folke Havekost einen Streifzug in 18 Stationen aufbereitet. Los geht es auf der Lombardsbrücke, wo Hans Erich Nossack ein »Nachtgespräch« führt, auf dem Gänsemarkt macht sich Hubert Fichtes »Jäcki« auf den Weg in »Die Palette«, in der Neustadt erzählt Uwe Timm von der »Entdeckung der Currywurst« und mit Simone Buchholz kommt an den Landungsbrücken »Wind auf«. Die Textauszüge der fast durchgängig prominenten Autoren*innen sind kurz, unterhaltend und führen manchmal auch an so überraschende Orte wie die Hausbar von Helmut und Loki Schmidt in Langenhorn. Freude machen an dem Band zudem die schönen Einführungstexte, die sich nicht nur den vorgestellten Autor*innen widmen, sondern flanierend viel aus Geschichte und Alltag in Hamburg erzählen.

Für eine große Entdeckungsreise durch »Hamburg als literarischen Raum« empfiehlt sich das 2006 erschienene Buch »Hamburg – 69 Dichter und ihre Stadt« (Hoffmann und Campe). Der von Olaf Irlenkäuser und Stephan Samtleben als »imaginäre Stadtführung« in mehreren Runden organisierte Band beginnt im Hafen, führt über St. Pauli und Altona in die Innenstadt, nach Harvestehude, Eimsbüttel, Eppendorf und Barmbeck, kehrt zurück an die Elbe in Övelgönne und endet an der Süderelbe. Es ist eine reiche Sammlung mit literarischen Schauplätzen und bietet gleichzeitig einen kurzweiligen Querschnitt deutscher Literatur von Heinrich Heine, Joachim Ringelnatz und Thomas Mann über Uwe Timm und Brigitte Kronauer bis zu Mirko Bonné.

Leider nur noch antiquarisch erhält man den Band »Literarisches Hamburg« (Verlag Jena 1800) von Kai-Uwe Scholz, der alphabetisch von »99 Autoren und ihren Orten in der Stadt« berichtet und sie in einem Ausklappstadtplan verzeichnet. Wer wissen will, wo der weltberühmte Dramatiker Samuel Beckett bei seinem neunwöchigen Besuch in Hamburg 1936 lebte, wird hier fündig, der Wohnort von Hubert Fichte ist ebenso verzeichnet wie die Schauplätze seiner Bücher, und von Karl Marx erfährt man, dass er am 12. April 1867 in der Bergstraße 26 in der Innenstadt beim Verlag von Otto Meissner vorstellig wurde, um ein Manuskript abzugeben. »Der Druck wird in a few days beginnen«, schrieb er am Tag darauf an Engels. Schon Anfang September 1867 ist der erste Band von »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie« dann erschienen – eines der einflussreichsten Bücher der Welt. In der Bergstraße erinnert daran eine erst vor drei Jahren angebrachte Gedenktafel, an der man vielleicht auf einem Streifzug im Hamburger Literaturparcour vom Lessing-Denkmal zum Baumwall vorbei kommt. Dort saßen Lessing, Herder und Claudius einst diskutierend im legendären »Baumhaus« zusammen, tranken ein Gläschen Wein, wie eine historische Abbildung nahelegt, und genossen die Aussicht über den Hafen.

Antje Flemming, Folke Havekost, »Hamburg zum Verweilen«, Reclam Verlag, € 10,–

Olaf Irlenkäuser, Stephan Samtleben, »Hamburg. 69 Dichter und ihre Stadt«, Hoffmann und Campe, € 19,95

Kai-Uwe Scholz, »Literarisches Hamburg«, Verlag Jena 1800 (nur antiquarisch erhältlich)


10.06.2020 | Jürgen Abel