Marcel Beyers »Dämonenräumdienst«

Nachricht von der linken Schulter

»Ich sage: Wer Lyrik schreibt, ist verrückt, / wer sie für wahr nimmt, wird es.« So heißt es in dem Gedicht »Hochseil« von Peter Rühmkorf, der seine Kollegen zudem »in höchsten Höhen« herumturnen sah, »selbstredend und selbstreimend / von einem Individuum / aus nichts als Worten träumend«. Ganz so ernst hat Rühmkorf das zwar nicht gemeint, und er hätte sicher auch Joseph Brodsky zugestimmt, der sagte, dass Gedichte »den höchstmöglichen Maßstab für jedes sprachliche Unterfangen« bilden. Dennoch gilt fürs Gedichtelesen und –schreiben wie fürs Verrücktsein zweifellos, dass es ein Minderheitenprogramm ist. Kaum einer beherrscht es so gut wie Marcel Beyer.

Es ist eine einzige Eloge, mit der Marcel Beyers neuer Gedichtband »Dämonenräumdienst« (Suhrkamp Verlag) in der Literaturkritik gefeiert wurde. Dabei siedelt der 2016 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnete Dichter in seinem neuen Gedichtband auf den ersten Blick verdächtig nah an einem Creative-Writing-Konzept: Alle Gedichte sind formal einheitlich aufgebaut und bestehen aus je zehn Strophen zu vier Zeilen. Doch der erste Eindruck ist schnell widerlegt. Beyer erweist sich als so virtuoser wie variantenreicher Dämonenjäger, seine Gedichte nutzen jede Freiheit, die ihnen die strenge Begrenzung lässt. Vielleicht hat sie sogar im Gegenteil zu der großen Verspieltheit geführt, mit der seine Gedichte bei der Lektüre so oft überraschen, denn er sprüht vor Ideen, erzählt Geschichten, paraphrasiert Übersetzungen, stellt Reihungen auf – und versteckt in fast jedem Gedicht auch noch eine neue Vokabel.

So wird gleich zum Auftakt die hochgestimmte »Farnverwandtschaft« beschworen, es folgen die verhängnisvolle »Scheinfrucht« und die expressive »Blutbude«, die Verheißung einer »Heidelandschaftshaut«, der ferne »Nachwuchskosmonautennebel« und schließlich auch der titelgebende »Dämonenräumdienst«. Die Geister, mit denen Marcel Beyer aufräumt, kommen oft aus der jüngeren Kulturgeschichte, sie heißen Joseph Beuys, Damien Hirst, Mickymaus, Elvis, Bambi, Mooshammer, Daisy, aber auch ein »Maggifläschchen« und ein »Rattansofa« sind dabei. Der Dichter selbst arbeitet übrigens »als Reh im / Innendienst«, wenn er nicht gerade zum Außendienst bei Lesungen antritt, seine Gedichte haben keinen Plot, keine Botschaft und kommen ohne Pointe aus. Jedenfalls bis zur Seite 140 des sehr schönen, knallroten Leinenbandes, wo plötzlich eine »Message« von der »totgetippten« linken Schulter eines Dichters überbracht wird, der mit »Zittergras im Kopf und Moos im Blick« nicht mehr schreiben kann. Doch Marcel Beyer räumt auch diesen Dämon ganz lässig und für alle »Hölderlintage« aus dem Weg, die da noch kommen werden.

Marcel Beyer, »Dämonenräumdienst«, Suhrkamp, € 23,–.


20.12.2020 | Jürgen Abel