Matthias Polityckis neuer Roman »Alles wird gut«

Eine Liebe in Afrika

Hamburger ZIEGEL
Matthias Politycki, Foto: Heribert Corn
Er ist ein Autor, der vor Konflikten nicht zurückschreckt, einer, der sich einmischt und Stellung bezieht. Zuletzt hat er »den deutschen Debattensumpf« mit dem Essayband »Abschied von Deutschland« ausgeleuchtet, aber auch seine Romane zielen mitten hinein in die Gemengelage gegenwärtiger Empfindsamkeiten. Von einer Männerfreundschaft über tiefe weltanschauliche Gräben hinweg handelt die grandios erzählte Komödie »Das kann uns keiner nehmen« (2020). Ausgangszenario ist eine Reise in Afrika, so wie auch in seinem neuen Roman, dem das freundliche Versprechen vorauseilt: »Alles wird gut« (Hoffmann und Campe) und der doch die »Chronik eines vermeidbaren Todes« erzählt.

Schon seit Jahrhunderten leben im Süden und Südosten Äthiopiens in den Regionen am Omo-Fluss und im Omo-Tal, das auch als »Wiege der Menschheit« gilt, Völker wie die Hamar und die Mursi, die Karo, die Nyangatom, die Dassanetch und die Suri. Die Lebensbedingungen sind schwierig, und es ist keine friedliche Welt, auch wenn die zahllosen bunten Bildchen mit Körperbemalungen, Schmucknarben und Lippentellern, die im Internet kursieren, etwas anderes suggerieren. Josef Trattner, der die Region mit zwei Führern aus dem Norden erkundet, ist jedoch meist sowieso nur mit einem Bein im Hier und Jetzt. Das touristische Spektakel, mit dem ihm die Suri zum Auftakt des Romans aufwarten, beobachtet er eher distanziert und peinlich berührt.
Trattner ist einer dieser phänotypischen Helden aus dem erzählerischen Kosmos von Matthias Politycki, ein Abenteurer und ganzer Kerl einerseits, aber eben auch ein ziemlicher Hallodri, einer, der die Dinge laufen lässt, bis sich das Nichtstun bitter rächt. Sein wohlsortiertes Beziehungsleben mit Lena in Wien gerät ihm deshalb so ordentlich durcheinander, dass es nicht nur metaphorisch schmerzt, und als Ausgrabungsleiter auf dem Judith-Stelenfeld in Aksum in der Region Tigray im Norden Äthiopiens wird er gefeuert, nachdem Fundstücke einfach verschwinden. Tief deprimiert begibt er sich auf eine Abschiedstour durch das Land und erfährt endlich eine erhabene Landschaft als Weckruf des Lebens, die der Roman in großartigen Impressionen einfängt. Bei den Suri wird er dann gänzlich aus seiner Lethargie gerissen, und das ausgerechnet, nachdem er nicht verhindern kann, dass eine Frau, nur weil sie Kontakt zu ihm sucht, schwer misshandelt wird. Ihr Name ist Nasedi, die alle nur Natu nennen, und am nächsten Tag sitzt sie scheinbar ungerührt neben Trattner auf der Rückbank des Pickups, mit dem die Reise weitergeht.
Natus Lebensgeschichte und ihr Versuch, aus den Rollenerwartungen ihres Volkes auszubrechen, rücken daraufhin ins Zentrum des Romangeschehens. Das Puzzle aus Völkern, uralten Traditionen und kaum übersehbaren Deformationen in der Gegenwart fügt sich mit ihrer Geschichte nach und nach zum Bild einer Kultur an einem höchst fragilen Wendepunkt. Die zentrale Frage des Romans berührt das jedoch nur am Rande, denn sie treibt uns in Deutschland um – und ist brandaktuell: Wann können, dürfen, müssen wir uns auch im Ausland und in einer Kultur, über die uns kein Urteil zusteht, einmischen? Josef Trattner, der Berufs-Hallodri aus Wien, sonst in diesem Roman stets eher auf Distanzkurs, trifft seine Entscheidung.
Nachdem sich schon fast ein Happy End abzeichnet und die Liebe gerade im Begriff zu sein scheint, einen großen Sprung zu machen, wird Natu von ihrem Leben eingeholt und ist plötzlich verschwunden. Trattner will unbedingt in Erfahrung bringen, was passiert ist und begibt sich, zu allem entschlossen, halbwegs im Liebeswahn und in durchaus nicht unbegründet größter Sorge um das Leben seiner Reisegefährtin, auf die Suche.
Was will man von einem Roman eigentlich mehr, darf man hier abschließend noch sagen. Es ist alles drin und dran: großartige Figuren, tolle Geschichte, brillant erzählt. Sonst noch was? Na klar: »Alles wird gut«, mit der kleinen Einschränkung, dass man am Ende halt doch ein bisschen traurig ist. Wie immer, wenn es besonders schön war.

Matthias Politycki, »Alles wird gut«, Hoffmann und Campe, € 25,–


28.03.2023 | Jürgen Abel