Michael Köhlmeiers neuer Roman »Matou«

Die sieben Leben des Monsieur Matou

Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier, Foto: Peter Andreas Hassiepen
Es sei »die summa« seines Werkes, er habe aus allem, was er bisher gemacht habe, dafür gelernt, sagt Michael Köhlmeier von seinem neuen Roman. Und das heißt bei einem wie ihm schon etwas, schließlich umfasst allein seine Prosa über 50 Bücher, er war zudem als Hörspielautor erfolgreich, hat die »Sagen des klassischen Altertums« nacherzählt und das »Nibelungenlied«, und ist ein großer Fan und Erfinder von Märchen. Dazu passt auch das Setting von »Matou« (Hanser), in dem ein sprechender Kater auf fast tausend Seiten aus seinen sieben Leben erzählt.

In seiner Welt ist er »eine Nummer, eine Sondernummer sogar«, er hält sich ganz unbescheiden für einen Homer der Katzen und macht in seiner in jeder Hinsicht überbordenden und vor Selbstbewusstsein strotzenden Autobiografie zuerst einmal klar, dass er nicht weniger als »einen Kater in seiner ganzen Naturwahrheit« vorstellen wird, der uns Menschen verstehen lernen will. Nach und nach entfaltet Monsieur Matou in seinen Bekenntnissen daraufhin die großen existenziellen Fragen der Conditio felis wie des Menschseins: Moral und Gewissen, Sprache und Erzählen, Liebe, Leben und Sterblichkeit, all das steht im Fokus des »Matouismus« zur Diskussion.
Ein Kernsatz dieser Philosophie geht so: »Die Welt und die Natur bringen Arschlöcher hervor, das ist bekannt, das muss man akzeptieren, auch wenn man selbst eines ist, vor allem dann.« Dieser Matou ist, wie nicht nur hier deutlich wird, alles andere als ein freundliches Katerchen, nein, es geht von allem Anfang an handfest zur Sache.
Schon kurz nach seiner Geburt am 25. September 1792 in Paris landet Monsieur Matou in Paris nicht nur sprichwörtlich in der Scheiße, er steckt vielmehr in einem Hundehaufen fest, nachdem er mit seinen Geschwistern aus einem Wohnhaus auf die Straße geworfen wurde. Aus höchster Not gerettet wird er von seinem ersten Herrn, dem Juristen Camille Demoulins. Durch ihn gelangt er in den inneren Kreis der Französischen Revolution, er lernt Robespierre, Saint-Just, Danton und ihre Ideen kennen und erfährt von seiner besonderen Gabe der menschlichen Stimme, während er Demoulins auf der Guillotine tröstet.
Das erste Leben von Matou endet jedoch so abrupt wie das seines Herrn, und wir sind nach fast 200 Seiten zum ersten Mal im »Weggemachten«. So nennt Matou das Zwischenreich, in dem die Katzen sich auf den Weg in ein neues Leben machen. Das geht nicht ganz ohne Zwischenfälle vonstatten, denn er lernt seine große Liebe »Fragnichtchen« kennen, und es kommt zu einem spontanen, verzehrenden Liebesakt, bevor er in ein neues Leben aufbricht.
Sechs Mal wird Matou sich auf eine neue Lebensreise begeben – und sie ist jeweils ein Roman im Roman. Sein zweites Leben verbringt er bei dem Dichter E.T.A. Hoffmann, er outet sich als der wahre Kater Murr und schließt Freundschaft mit dem ebenfalls später durch Hoffmann ruhmreichen Meister Floh. Als Herrscher begegnen wir ihm auf der Katzeninsel Hydra, dann lebt er bei Mister Warhol in New York, und kommt in seinem siebten Leben in einem kleinen Haus im 19. Wiener Bezirk an. Dort richtet er sich auf dem Dachboden ein Büro ein und schreibt an seinen Memoiren.
Sein siebtes Leben bei der Dame Ingeborg Novak in Wien bildet die Klammer, von der diese prall gefüllte Sammlung aus Geschichten zusammengehalten wird. Am Ende taucht Matou dort seine Kralle in ein Tintenfass, um die neunundneunzig Arten aufzulisten, durch die man sterben kann, und zu verfügen, dass die vielen Blätter, die er »in der schönsten Pfotenschrift« beschrieben hat, bekommen soll, wer immer sie haben will. Michael Köhlmeier hat sie uns weitergereicht, »ein unschätzbarer Schatz«, wie Matou sehr wohl wusste, über den man abschließend nur in seinen eigenen vom »mozartschen Genius angetippten« Worten sagen kann: »Mauuu-au-ai-iiiii-jao-uuuuu! Mauuu-au-ai-eeeee-jao-ooooo! Mauuu-au-ai-uuuuu-jao-jao-jao-iiiiii!«.

Michael Köhlmeier, »Matou«, Hanser, € 34,–


28.09.2021 | Jürgen Abel
Michael Köhlmeier, Matou