Mirko Bonnés neuer Roman »Seeland Schneeland«

Im Inneren eines Traums

Mirko Bonné
Mirko Bonné, Foto: Bogenberger, Autorenfotos.com
Schon seit seinem Debüt ist das Reisen ein wiederkehrendes Motiv der Romane von Mirko Bonné, doch nie hat er ein so spektakuläres Abenteuer erzählt wie in seinem 2006 erschienenen Roman »Der eiskalte Himmel«. Mit seinem neuen Roman »Seeland Schneeland« legt er nun eine Fortsetzung der Helden- und Lebensreise des Schiffsjungen Merce Blackboro von Shackletons gescheiterter Antarktis-Expedition vor. Der ist noch einmal mit einem Schiffsunglück in Schnee und Eis konfrontiert – und mit großen Lebensfragen, denn um eine fiktionalisierte Katastrophen-Chronik geht es hier nicht, sondern um das Scheitern und das, worauf es wirklich ankommt.

Mit seinem Gedichtband »Wimpern und Asche« hat Mirko Bonné zuletzt eine bedeutende Wegmarke in der deutschen Lyrik gesetzt, und für seine vielgerühmten Übersetzungen von John Keats über Robert Louis Stevenson, Antoine de Saint-Exupéry bis zu Joseph Conrad wurde er gerade erst mit einem Hamburger Übersetzerpreis ausgezeichnet. Der umtriebige Dichter, Romancier und Übersetzer spielt seit vielen Jahren auf mehreren Feldern in der ersten Liga der deutschen Gegenwartsliteratur, wobei ihn das große Lesepublikum vor allem durch seine Romane kennt: »Wie wir verschwinden« (2009) und »Nie mehr Nacht« (2013) waren ebenso für den Deutschen Buchpreis nominiert wie »Lichter als der Tag« (2017). Von einem sehnsuchtsvollen Aufbruch und der Reise in das Innere eines großen Traums erzählt er nun in seinem mitreißenden neuen Roman »Seeland Schneeland«.

Ein kleiner Holzfisch, ein Glücksbringer, den ihm in seiner Heimat Newport seine große Liebe Ennid Maldoon mit auf die Reise gegeben hat, begleitet den siebzehnjährigen Schiffsjungen Merce Blackboro in dem Roman »Der eiskalte Himmel«(2006) ins ewige Eis und auf den ultimativen »Trip auf Erden«, den sich Sir Ernest Shackleton 1914 mit der Durchquerung der Antarktis zu Fuß vorgenommen hat. Noch bevor Shackletons Schiff, die »Endurance«, die Antarktis überhaupt erreicht hat, bleibt es im Packeis stecken und wird von den driftenden Eismassen zermalmt. In einer 635 Tage währenden, entbehrungsreichen Odyssee durch eine der menschenfeindlichsten Regionen der Welt, gelingt es den 28 Expeditionsteilnehmern, mit viel Glück und vor allem auch durch Shackletons Entschlossenheit und seinen ungebrochenen Optimismus, ihr Leben zu retten.

Als wir Merce Blackboro zum Auftakt von »Seeland Schneeland« wiederbegegnen, sind über sieben Jahre vergangen. Er ist seit zwei Jahren zurück in Newport, wo scheinbar nichts mehr so ist, wie es einmal war. Der Ort ist in einer erdrückenden Tristesse gefangen, und in einem seit Monaten anhaltenden Dauerregen fahren nach Krieg und Spanischer Grippe nun auch alteingesessene Betriebe in die Pleite. Wer auch immer noch auf Besserung hofft, sucht sie überall, nur nicht hier. Merce, der einen Betrieb für Schiffsinnenausstattungen von seinem Vater übernommen hat, ist voller Sehnsucht nach einem Aufbruch und träumt von einem »Land des Glücks«, das ihm eine »Kinderstimme« immer dann verheißt, wenn Traurigkeit ihn überfällt. Zu Taten ist er jedoch nicht fähig – bis Ennid Maldoon, die er nach wie vor liebt, ohne hoffen zu dürfen, je von ihr erhört zu werden, eines Tages verschwindet.

Ennid will in Amerika ihr Glück machen und reist mit einem Auswandererschiff, der Orion, von Portsmouth nach Rotterdam, dann nach Hamburg, wo weitere Passagiere aufgenommen werden. Mit an Bord sind auch der Hotelerbe, Milliardär und Trinker Diver Robey, der dem Traum einer Flugverbindung zwischen Amerika und Europa hinterherjagt, seine junge Geliebte, sein Diener Meeks, und 2000 weitere Reisende, ausnahmslos voller Hoffnung und Sehnsucht nach der Neuen Welt. Eine gespenstische Vorahnung ereilt die Auswanderer, als die Orion noch vor der englischen Küste einen Strom von Dingen durchpflügt, einen »Teppich aus Gegenständen« von einem anderen Auswandererschiff und bald vor Schottland in einem orkanartigen Schneesturm gefangen ist.

Mirko Bonné erzählt aus den wechselnden Perspektiven der Protagonisten und in kurzen Kapiteln von den Ereignissen auf der Orion und dem verzweifelten Versuch von Merce, das Schiff und Ennid noch zu erreichen; er verbindet Motive und legt, wie in allen seinen Romanen, Fährten auch in die Literatur aus. Für einen Gastauftritt wird schließlich Sir Ernest Shackleton noch einmal herbeigerufen, der auf einer Vortragsreise durch England ist und unterwegs seine Männer für eine neue Antarktisexpedition zusammentrommelt. »Von Vergeblichkeit reden nur Zauderer«, lässt er Merce wissen und verbietet ihm, seinen großen Traum von einem Leben mit Ennid aufzugeben. Es ist fast märchenhaft und eine Freude, wie in diesem so spannenden wie kunstvollen Roman am Ende alle in ihrem Traum ankommen, der Milliardär und sein Diener, die Auswanderer und ein kleines Mädchen, das von einem »Land des Glücks« träumt. Fast so, als hätte die Literatur hier der Unbedingtheit des Lebens etwas voraus, »etwas Unbekanntes, Ungeahntes, ein feines Gefühl nur, ein sonderbar gelassenes Selbstvertrauen, und diese innige Vorstellung von wirklichem Neubeginn«.

Die Buchpremiere von »Seeland Schneeland« mit Mirko Bonné findet am 10. Februar um 19.30 Uhr im Livestream im Hamburger Literaturhaus statt. Moderation: Sven Meyer. Streamingticket: € 5,–,
Livestream und Tickets: www.literaturhaus-Hamburg.de

Mirko Bonné, »Seeland, Schneeland«, Schöffling & Co., € 24,–.


01.02.2021 | Jürgen Abel