Navid Kermanis Buch über Gott und die Endlichkeit
Was wird sein, wenn nichts mehr ist?
Navid Kermani, Foto: Heike Bogenberger
Er ist einer der klügsten Gelehrten des Landes, habilitierter Orientalist und vielfach ausgezeichneter Schriftsteller. Neben wichtigen kultur- und religionswissenschaftlichen Essays hat der 1967 in Siegen als Sohn iranischer Emigranten geborene Navid Kermani vielbeachtete Romane veröffentlicht, darunter »Dein Name« (2011), zuletzt erschien der Sammelband »Morgen ist da« (2019) mit seinen Reden. Oft zitiert und besprochen wurde seine berühmte Rede zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes im Bundestag, zu Tränen rührte er die Zuhörer bei seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2015. Gustav Seibt schwärmte in der »Süddeutschen Zeitung« damals: » Dieser Schriftsteller ist viel mehr als ein bestens integrierter islamischer Autor – er ist ein deutscher Intellektueller, der sich ebenso kompetent zu Lessing, Kleist, Hölderlin und Kafka äußern kann wie zur islamischen Mystik.« Von diesem Geist getragen wird nun auch sein neues Buch »Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen«.
Am Anfang steht ein Versprechen, das Navid Kermani seinem Vater kurz vor dessen Tod gibt – er soll seiner Tochter den Glauben lehren, mit dem ihr Opa einst in Isfahan aufgewachsen ist. Daraufhin beginnt Kermani die Zwölfjährige über Schriften, Gebete, Feste und Sitten des Islam zu unterrichten und stellt doch bald fest, dass er damit das Wesentliche verfehlt, um das es in allen Religionen geht. Also beginnt er Tag für Tag in kurzen Kapiteln selbst zu erzählen, »weshalb wir von uns sagen, dass wir an Gott glauben«, wie Religionen entstanden sind und was sie uns lehren. Jeden Abend liest er dann vor, was er aufgeschrieben hat.
Ein tragendes Element des Textes ist, dass Kermani seine Tochter direkt anspricht und ihre Fragen und Einwände sowie kurze Episoden aus dem Familienalltag aufgreift. Der große Raum des Glaubens, den der Text durchschreitet, steht so neben banalen Verrichtungen wie dem »Zähneputzen« oder der Erkenntnis, dass der Islam zwar wichtig ist, aber »Nudeln mit Tomatensoße« eben auch. Die »Fragen nach Gott«, die im Zentrum des Buches stehen, werden durch den sehr persönlichen, manchmal sogar flapsigen Ton, in dem Kermani erzählt, umso greifbarer, schließlich ist das Thema weltumspannend und höchst anspruchsvoll: Da werden schon zu Beginn »Extrazeilen über Geist und Quantenphysik« eingeschoben, aber auch von Marias »jungfräulicher Geburt« erzählt. Es geht um den Islam, das Christentum, den Taoismus, den Hinduismus, Buddhismus und das Judentum, ebenso wie um Goethes »Wandrers Nachtlied« und die Frage, was uns »der Unterschied von christlicher und islamischer Architektur« erklärt.
Trotz all der Ausführungen und der hoffnungsfrohen Anrufung des »vielleicht, dass ihr versteht«, in dem Kermani am Ende in nur einem kurzen Absatz das ganze Drama des Glaubens und des Zweifelns aufruft, bleibt sein Epilog ernüchternd: Seine Tochter kommt zu dem Schluss, dass »im Großen und Ganzen recht vernünftig« klinge, was der Vater ihr vorgelesen habe, so richtig an Gott glauben will sie aber nicht. Und Navid Kermani muss sich damit trösten, dass er ein ganz wundervolles Buch geschrieben hat, das seinen Zauber bei seiner Tochter immerhin »vielleicht« irgendwann in der Zukunft noch entfalten wird.
➝ Buchpremiere mit Navid Kermani, Barbara Nüsse und dem Ensemble Resonanz im Thalia Theater, Alstertor 1, 20.00 Uhr, € 29,–
Navid Kermani, »Jeder soll, von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen«, Hanser, € 22,–
29.01.2022 | Jürgen Abel