Nora Gantenbrinks Romandebüt »Dad«

Wenn Träume immer wiederkehren

Nora Gantenbrink
Nora Gantenbrink, Foto: Susanne Baumann
Nach ihrem grandiosen Debüt mit dem Erzählband »Verficktes Herz & andere Geschichten« ist im Frühjahr der erste Roman der Hamburger Journalistin und Autorin Nora Gantenbrink erschienen. In »Dad« erzählt sie von einer »Leerstelle«, die ein abwesender Hippie-Vater im Leben seiner Tochter hinterlässt. Und von dem Versuch, diese »Leerstelle« durch eine Recherche über den früh an Aids verstorbenen Vater zu kitten. Trotz der traurigen Geschichte ist »Dad« ein rasanter Roman, der viel Spaß und vor allem auch Mut macht.

Er sitzt freundlich lächelnd auf einer Treppe vor einer rustikalen Mauer, pinkfarbene Hose, ärmelloses weißes T-Shirt, gepflegte lange Haare, Bart, Sonnenbrille. Ein attraktiver Mann, und ein Hippie wie aus dem Bilderbuch. Es ist das Coverfoto von Nora Gantenbrinks Roman »Dad«, und es ist nicht gestellt, sondern ein Foto, das den Vater der Autorin als jungen Mann zeigt. Die Eckpunkte ihres Romans sind autobiografisch, auch sie selbst hat sich, wie ihre Protagonistin Marlene, auf eine Spurensuche nach ihrem abwesenden Hippie-Vater begeben, der es »schick fand, sich Dad zu nennen«, aber als Vater nie anwesend war. »Mach es besser als ich. Alles. Dad«, empfiehlt er der Tochter zu ihrem 18. Geburtstag auf einer der wenigen Postkarten, die sie von ihm erhält. Kurze Zeit später stirbt er an Aids. Als ihn seine Tochter zum letzten Mal sieht, »raucht er einen Joint durch ein Loch in seiner Wangenwand« und erklärt ihr: »It’s tough kid but it’s life«.

Für ein Jahrzehnt verdrängt sie daraufhin den Vater ebenso wie ihre nur fast normale Kindheit in der südwestfälischen Provinz, bis sie sich eines Tages eingesteht, dass die Träume immer wiederkehren, und sich »die ganze verdammte Vergangenheit« einfach nicht abschütteln lässt. Das ist der Ausgangspunkt der großen Recherche, die Nora Gantenbrink in zwei Teilen in ihren Roman eingebunden hat: In kurzen Erzählungen berichtet Marlene im ersten Teil von ihrem auf den ersten Blick glücklichen Leben als Musikjournalistin auf St. Pauli, von ihrer Kindheit und Jugend, den Eltern, Großeltern, Freunden und davon, was sie über ihren Vater weiß. Viel ist es nicht, denn der Junior eines Wursthandels ist schon früh aus dem Familienleben und aus der provinziellen Enge geflohen. Die Erinnerung an ihn besteht hauptsächlich aus Anekdoten über Drogentrips und abenteuerliche Reisen. Auf die begibt sich Marlene dann im zweiten Teil des Romans selbst, sie reist an die Sehnsuchtsorte des Vaters, nach Marokko, Indien, Thailand, und trifft seine alten Freunde: Eine Freakshow – peinlich, schräg und immer wieder schreiend komisch – durch die ihr klar wird, dass ihr Vater sie zwar geliebt hat, »aber das Leben noch mehr«.

Nora Gantenbrink hat den Roman aus kurzen, oft nur wenige Seiten umfassenden Episoden zusammengesetzt, die man auch als kleine, oft meisterhafte Erzählungen lesen kann. Sie folgen einer je eigenen Dramaturgie, der Roman entwickelt dadurch ein hohes Tempo, und als Leser*in ist man schon mit dem Prolog mitten im Geschehen. Das macht Spaß, ist berührend und am Ende auch traurig, denn es geht halt doch nicht gut aus, obwohl Marlene von der »Leerstelle« ihres Vaters geheilt ist und sich ihr endlich die große Liebe ihres Lebens zeigt.



Nora Gantenbrink, »Dad«, Rowohlt Verlag, € 20,–



10.06.2020 | Jürgen Abel