Norbert Gstreins neuer Roman »Der zweite Jakob«

»Sag ihnen, wer du bist«

Norbert Gstrein
Norbert Gstrein, Foto: Oliver Wolf
Er ist einer der großen Erzähler der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Alfred-Döblin-Preis und dem Uwe-Johnson-Preis. Nach seinen zuletzt erschienenen Romanen »Die kommenden Jahre«, der Geschichte eines Klimaforschers, und »Als ich jung war«, für den er den Österreichischen Buchpreis 2019 erhielt, erzählt Norbert Gstrein in »Der zweite Jakob« (Hanser Verlag) nun die Geschichte eines Schauspielers. Der ist prominent, erfolgreich, ein verdienter Bürger, und gerät kurz vor seinem 60. Geburtstag dennoch mit allem ins Schlingern, was da bisher war und noch kommen soll.

Es beginnt mit einer Frage seiner Tochter Luzie, die er zuerst ausweichend, dann aber doch wahrheitsgemäß beantwortet. Der Anlass dafür ist eine Biografie, die zu Jakob Thuners 60. Geburtstag erscheinen soll. Das verhindert der Filmschauspieler noch kurz vor der Drucklegung, nachdem nicht nur die Tochter findet, das Manuskript des behutsam die Fakten einsammelnden Biografen Elmar Pflegerl sei »knieweich bis zum Erbrechen« geraten. Er habe »niemanden umgebracht« geht der Antwort voraus, die er seiner Tochter schließlich auf die Frage gibt, was das Schlimmste gewesen sei, das er in seinem Leben getan hätte. Das darauf folgende Geständnis hat dann aber doch die radikale Konsequenz, dass Luzie ihren Vater für »eine Weile nicht sehen« will. Und als Leser*in ahnt man nach diesem Einstand, dass es hier alles andere zimperlich zugeht.
In fünf Teilen begibt sich Norbert Gstrein mit Jakob über die Stationen »Sag ihnen, wer du bist«, »Du bist dieser hier«, »Zahlen und Werte«, »Maja Felder« und dem finalen »Ein Kind im Winter« auf einen langen Selbsterkundungstrip, bei dem sich mancher dunkle Abgrund zeigt. Und bei dem die biografischen Gewissheiten mehr und mehr dem Versuch einer Annäherung an die Wahrheit weichen. Jakob hat als Österreicher in amerikanischen Filmproduktionen mitgespielt, gleich zum Einstand und auch daraufhin noch häufiger als Frauenmörder, und er hat vor Jahren bei Dreharbeiten in El Paso, Texas, Dinge erlebt, die ihn jetzt nicht mehr loslassen, die ihn verstören und beschämen. Wie kann er darüber reden, welche Lügen müssen verborgen bleiben, damit ihm ein wie auch immer annehmbares Leben erhalten bleibt?
Am Ende landet er zum runden Geburtstag in seinem Heimatdorf in den Bergen, wo sein Onkel, der erste Jakob, seiner Tochter rundheraus erklärt, dass sein Neffe, »der zweite Jakob«, es als Schauspieler nur zu etwas gebracht habe, weil er sich »alles, was es dafür braucht«, von ihm abkupfern konnte. Als Original, das wird schnell deutlich, gibt es weder den einen noch den anderen Jakob. Aber damit hat man sich in diesem so wunderbar voltenreichen Roman, für den die Wahrheit ein fintenreiches Geschäft ist, längst abgefunden.

Norbert Gstrein, »Der zweite Jakob«, Hanser, € 25,–.


28.02.2021 | Jürgen Abel