Peter Stamms Erzählband »Wenn es dunkel wird«

Vom Geheimnis der Veränderung

Peter Stamm
Peter Stamm, Foto: Anita Affentranger
Peter Stamm gilt als so brillanter Erzähler, weil es ihm gelingt, in nur wenigen Sätzen und mit großer Suggestivkraft eine ganze Welt zu eröffnen, die seine Leser sofort für sich gefangen nimmt. So ist es auch in seinem neuen Buch »Wenn es dunkel wird« (S. Fischer). Nur wenige Zeilen und schon sind wir mittendrin. Gemeinsam ist den elf Geschichten aber auch, dass sie von einem Geheimnis erzählen, von einer verborgenen, unheimlichen Kraft, durch die sich plötzlich alles verändert.

In seinem zuletzt erschienenen Roman »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt«, für den Peter Stamm mit dem Schweizer Buchpreis 2018 ausgezeichnet wurde, gehen dem romantischen Versuch, das Schicksal nachträglich auf eine andere Spur zu locken, Begegnungen mit dem eigenen, früheren Ich in einer Art Parallelwelt voraus. Ähnliches widerfährt nun einer jungen Krankenschwester in der Erzählung »Sabrina, 2019«. Sie scheint in einer Skulptur zu verschwinden, die ein Bildhauer von ihr gemacht hat, nachdem sie sich, zuerst tief erschrocken, über Wochen an die verblüffend genaue Reproduktion ihrer selbst herangetastet hatte.

Auch der Flugzeugmechaniker Georg ist in der Erzählung »Supermond« mit seinem Verschwinden konfrontiert. Er selbst bemerkt es am Anfang nur an kleinen Zurückweisungen, die bald in völlige Ignoranz seiner Person übergehen, er wird einfach nicht mehr wahrgenommen, ob am Arbeitsplatz von den Kollegen, zu Hause von seiner Frau oder beim Einkaufen an der Kasse. Irgendwann fügt er sich in sein Schicksal und steigt »langsam in die Höhe«. Eine unheimliche Erfahrung macht dagegen ein IT-Techniker in der Erzählung »Der erste Schnee«. Er ist mit seiner Frau und seinen Kindern auf dem Weg in den Skiurlaub und wird im Streit von seiner Frau auf einer Autobahnraststätte zurückgelassen. Daraufhin macht er sich zu Fuß auf den Weg in das gemeinsame Ferienhaus. Er erreicht es schließlich spät am Abend nach einer wahren Odyssee und wundersamen Erlebnissen an einem Ort, den er später beim besten Willen nicht mehr wiederfindet. Auf wundersame Weise geheilt ist jedoch das Familienleben seit diesem Nachmittag des Familienvaters an einem verborgenen Ort.

So ist das in allen Erzählungen von »Wenn es dunkel wird«. Sie spielen in einer brüchigen Welt, die plötzlich unheimlich, geheimnisvoll und ganz anders ist, als unsere eingeübte Vorstellung von ihr. Dennoch enden sie alle versöhnlich, auch wenn man sich das Happy End manchmal selbst dazu denken muss.

Peter Stamm, »Wenn es dunkel wird«, S. Fischer, € 21,–.


27.11.2020 | Jürgen Abel