Rachel Cusks neuer Roman »Parade«

Das Denken auf den Kopf stellen

Rachel Cusk, Foto: Suhrkamp Verlag
Im englischsprachigen Raum wird die britische Schriftstellerin Rachel Cusk schon seit vielen Jahren für ihre brillante Literatur gefeiert. Vor allem mit ihrer international hochgelobten »Outline«-Trilogie wurde die in Paris lebende Autorin dann auch in Deutschland bekannt. Ihr Werk umfasst Romane, Essays und mehrere literarische Memoirs. Ihr neuer Roman »Parade« ist ein äußerst kühnes Kunststück, dessen Lektüre höchste Ansprüche stellt, weil es keine stringente Handlung anbietet, dafür aber einem Themenkomplex folgt.

In der ersten Episode dieses Romans wird der erzählerische Reigen mit einem Künstler in Gang gesetzt, der seine Bilder plötzlich verkehrt herum malt (so wie Baselitz) und damit endlich großen Erfolg hat, während seine Arbeit zuvor eher als bieder galt. Zuerst glaubt seine Frau noch, dass die auf dem Kopf stehenden Bilder sich vielleicht sogar negativ auswirken könnten, doch seine Absicht lässt sich an der Signatur erkennen, die sich unten rechts in den Bildern findet, und wird ausnahmslos gefeiert. Eine Erklärung für seine auf den Kopf stehenden Bilder gibt der Künstler nicht, doch seine Frau ist der Ansicht, dass sie dem »Rätsel und der Tragödie ihres Geschlechts« so nah kommen wie sonst nichts.

Nach nur wenigen Seiten bricht diese Geschichte dann unvermittelt ab, es geht weiter mit einer Frau, die aus heiterem Himmel in Paris von einer Unbekannten attackiert wird. Bevor die Angreiferin flieht, betrachtet sie ihr Opfer wie eine Künstlerin, die vor ihrer Leinwand steht, schüttelt die erhobene Faust und verschwindet. Mit diesem Erlebnis steht plötzlich das Leben der Frau auf dem Kopf, sie kann den Vorfall weder verarbeiten noch irgendwie einordnen. Weiblichkeit, Kunst und Macht, Familie und Freiheit, das sind die Motive, die sich auch in der Folge dieser Episode durch die »Parade« von Rachel Cusk ziehen. Es ist ein hoch intellektueller Text über Kunst und den Kampf der Geschlechter, der das Denken auf den Kopf stellt, um uns die Welt so zu zeigen wie sie wirklich ist.

Rachel Cusk, »Parade«, Suhrkamp, € 25,–

01.09.2024 | Jürgen Abel