Siegfried Lenz Stiftung und NDR Kultur

Siegfried Lenz Preis für Ljudmila Ulitzkaja

Ljudmila Ulitzkaja
Ljudmila Ulitzkaja, Foto: Peter Andreas Hassiepen
Sie ist die Grande Dame und wohl prominenteste Schriftstellerin der russischen Gegenwartsliteratur: Ljudmila Ulitzkaja, 1943 geboren und in Moskau aufgewachsen. Schon im vergangenen Jahr wurde ihr der mit 50.000 Euro dotierte Siegfried Lenz Preis zugesprochen, der seit 2014 an internationale Schriftstellerinnen und Schriftsteller vergeben wird, deren Wirken dem Geist des Hamburger Ehrenbürgers Siegfried Lenz nah ist. Die bisherigen Preisträger des mit 50.000 Euro dotierten Preises sind Amos Oz, Julian Barnes und Richard Ford. In diesem März wird nun die Verleihung mit Ljudmila Ulitzkaja in Hamburg nachgeholt.

Zum ersten Mal wird mit Ljudmila Ulitzkaja eine Autorin aus dem osteuropäischen Kulturraum mit dem Siegfried Lenz Preis ausgezeichnet. Und wie es der Zufall so will, ist sie in Deutschland zur durch die Pandemie ein halbes Jahr verspäteten Verleihung des Preises mit einem höchst aktuellen Buch im Gespräch. Es heißt »Eine Seuche in der Stadt« (Hanser Verlag) und erzählt von einer Gesellschaft, die zwei gewaltigen Kräften ausgesetzt ist. Entwickelt hat Ljudmila Ulitzkaja das Szenario schon 1978 für einen Drehbuchkurs und es wieder ausgegraben, als sie sich durch die Corona-Pandemie daran erinnerte. Die Geschichte beruht auf einer tatsächlichen Begebenheit. Ljudmila Ulitzkaja, die selbst Biologie studierte und einige Jahre als Genetikerin arbeitete, erfuhr durch eine Freundin davon, deren Vater als Arzt unmittelbar beteiligt war. 1939 berichtete der Mitarbeiter eines Labors bei einer Konferenz in Moskau über den Stand der Entwicklung bei der Herstellung eines Impfstoffes gegen die Pest. Niemand ahnte, dass der Forscher selbst infiziert war. Doch noch am Abend brach die Krankheit aus, und man beauftragte den mächtigen Geheimdienst NKWD mit dem Auffinden von Personen, die sich möglicherweise infiziert hatten.
In kurzen, fragmentarischen Szenen erzählt Ljudmila Ulitzkaja von dem Versuch, die drohende Epidemie in den Griff zu bekommen und von den »Schwarzen Raben« der Polizei, den Wagen, mit denen die Gefangenen abtransportiert wurden. Sie waren so gefürchtet, dass einer der Gesuchten Selbstmord beging, bevor er darüber aufgeklärt werden konnte, dass man ihn »nur« wegen einer möglichen Infektion in Quarantäne transportieren und nicht aus politischen Gründen verhaften wollte.
»Eine Seuche in der Stadt« ist ein kurzes und eindringliches Lehrstück über politischen Terror, das man auch als Plädoyer für eine Politik lesen kann, die sich ihrer überlegenen Handlungsmacht bewusst ist - und im Wissen um die Verantwortung agiert, die daraus resultiert.

Die Verleihung und Lesung findet am 19. März 2021 im Rolf-Liebermann-Studio des NDR statt. Die Aufzeichnung wird am 21. März auf NDR Kultur gesendet.

Ljudmila Ulitzkaja, »Eine Seuche in der Stadt« Hanser Verlag € 16,-


05.03.2021 | Jürgen Abel