Steffen Kopetzkys neuer Roman »Monschau«

Katastrophenbild mit Hoffnungsschimmer

Steffen Kopetzky
Steffen Kopetzky, Foto: Marc Reimann
Die Verknüpfung von präzise recherchierten historischen Themen mit stets durch einen Anflug von Ironie gebrochenen fiktiven Geschichten ist das Markenzeichen der Romane von Steffen Kopetzky. In seinem vielgelobten Abenteuerroman »Risiko« (2015) folgte er einer legendären Geheimexpedition des Deutschen Reichs an den Hindukusch, im Zentrum seines zuletzt erschienenen Romans »Propaganda« (2020) steht eine der größten Katastrophen im Zweiten Weltkrieg, die Schlacht im Hürtgenwald. Ganz in der Nähe des Kriegsschauplatzes spielt nun nicht ganz zwei Jahrzehnte später sein neuer Roman »Monschau« (Rowohlt). Er erzählt von einem Ereignis, das ebenfalls weltweites Aufsehen erregte.

Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland liegt im letzten Jahr von Konrad Adenauers Regierungszeit als Bundeskanzler in Bonn gerade einmal 13 Jahre zurück, doch die Wirtschaft brummt und exportiert weltweit. Noch ein ganz junges Phänomen des jungen Wirtschaftswunderlandes sind Interkontinentalflüge mit Passagier-Jets. Dass sie auch ein Einfalltor für ein tödliches Virus sein könnten, ahnte damals noch kaum jemand. Das änderte sich schlagartig, als die WHO den Landkreis Monschau in der Eifel Anfang Januar 1962 zum »Internationalen Infektionsgebiet« erklärte. Ein Monteur hatte von einer Geschäftsreise nach Indien die hoch ansteckenden Pocken eingeschleppt und seine Tochter infiziert.
Schon im letzten Frühjahr berichtetet Steffen Kopetzky in einem Artikel für den »Spiegel« von der »Epidemie in der Eifel«, auf die er bei einer seiner letzten Lesungen vor dem ersten Corona-Lockdown aufmerksam wurde. In seinem neuen Roman »Monschau« erzählt er jetzt sehr nah an den tatsächlichen Ereignissen und Protagonisten davon, was damals passierte. Und es erinnert streckenweise sehr an die Maßnahmen und Reaktionen, wie wir sie aus der Corona-Krise kennen: Grenzschließungen, Quarantäne und Kontaktverbote, überforderte Behörden, Ärzte und Krankenhäuser.
Im Zentrum des Geschehens standen damals und auch jetzt im Roman zwei Ärzte. Einer von ihnen ist Günter Stüttgen (1919-2003). Der Dermatologe und Hochschullehrer wurde durch sein Engagement bei der »Schlacht im Hürtgenwald« international als »German Doctor« berühmt – Kopetzky erzählt in seinem Roman »Propagando« davon. Vor allem seinem und dem unerschrockenen Einsatz seines jungen Kollegen Constantin E. Orfanos ist die rasche Eindämmung der Epidemie in der Eifel zu verdanken.
Eingebunden sind die historischen Ereignisse in eine Liebesgeschichte, in deren Zentrum der junge Mediziner Nikolaos Spyridakis und die junge Fabrikantentochter Vera Rither stehen. Mit der Alleinerbin der Rither-Werke halten das Miles Davis Quintet, Ornette Coleman, Glen Gould, Jacques Brel und natürlich auch Simone de Beauvoir, Jean Paul Sartre und manch andere, deren Werke damals angesagt waren, Einzug in das Romangeflecht. Große Klasse ist zudem, wie unaufdringlich Steffen Kopetzky die historische Nachrichtenlage einbindet, ohne dass es künstlich oder aufgesetzt wirkt – vom schneereichen Winter über die Jahrhundertflut in Hamburg bis zu dem Fernsehspiel »Das Halstuch«, das damals durch seinen unglaublichen Erfolg den Begriff des »Straßenfegers« prägte. Auch die Nebenfiguren sind durchweg toll besetzt, vom kriegsversehrten Fahrer über den gebrochenen, ehemaligen Scharfschützen bis zur Haushälterin.
Durch das so sorgsam wie klug eingerichtete Setting des Romans entsteht ein Zeitbild, das weit über die Epidemie und den Ausnahmezustand hinausweist, in den sie die Eifel im Januar 1962 versetzte. Man könnte fast sagen, dass hier die Literatur einen späten Sieg über das Virus feiert, indem sie von all dem erzählt, was es auch sonst noch gab. Und das ist doch eine Botschaft, die gerade heute ganz besonders hoffnungsvoll stimmt.

Steffen Kopetzky stellt »Monschau« am 13. April vor. Literaturhaus Hamburg, 19.30 Uhr, Streamingticket: € 5,–, Livestream und Tickets: www.literaturhaus-hamburg.de/programm

Steffen Kopetzky, »Monschau«, Rowohlt, € 22,–


29.03.2021 | Jürgen Abel