Tanja Schwarz´ Erzählband »In neuem Licht«

Harte Tage in Wilhelmsburg

Tanja Schwarz
Tanja Schwarz, Foto: Rebecca Hoppé
Sie sind ungefähr mittelalt, sie leben ungefähr in der Mitte der Gesellschaft, sie kommen mittelprächtig klar und sind voller Sehnsucht nach einem weiteren Horizont, einem größeren Ausschnitt des Himmels, einem leichteren Hier und Jetzt. Diesen ganz alltäglichen Heldinnen aus dem liberalen, oft prekären Bürgertum gibt Tanja Schwarz in ihrem neuen Erzählband »In neuem Licht« (hanserblau) eine Stimme. Es sind einfach großartige Erzählungen, die in einer präzisen und oft hochpoetischen Sprache die ganze existenzielle Wucht und Tiefe persönlicher Krisen ausloten und dabei ganz unsentimental und ideologiefrei auch Politik und Gesellschaft in den Blick nehmen.

Der deutschsprachige Buchmarkt ist kein leichtes Feld für kurze Prosatexte, die Verlage publizieren so selten einmal einen Erzählband, dass es schon für sich betrachtet ein Ereignis ist, jedenfalls bei einer Autorin wie Tanja Schwarz, die zuvor nicht mit einem Roman im Programm stand. Ihren zuletzt erschienenen »Weltroman« (2019) hat der kleine und feine Hamburger Textem Verlag publiziert, mit ihrem Erzählband »In neuem Licht« ist sie nun beim renommierten Hanser Verlag. Der wirbt nun für Erzählungen, die »bis ins Mark« treffen und dennoch tröstend sind, und für »mit knappem Strich entstehende Charaktere, die einem so nahekommen wie nur wenige in der deutschsprachigen Literatur«.
Alle Erzählungen verbindet eine Ich-Erzählerin, die sich in ganz normalen und doch belasteten familiären Verhältnissen durch den Alltag kämpft. In »Sonnenwende" kümmert sie sich um ihre alte und psychisch kranke Mutter, die plötzlich glaubt, alles falsch gemacht zu haben, und sie ist gleichzeitig mit einer pubertierenden Tochter konfrontiert, die ihr immer fremder wird. Nur in regelmäßigen Läufen durch die Natur gelingt es ihr noch, ihre »eigenen Bedürfnisse zu erfüllen: atmen, rennen, schwitzen, scheißen, jubeln«.
In »Unabomber« begegnen wir der Erzählerin in einem langen Sommer in ihrem Gartenhäuschen. Sie hat sich völlig aus ihrem bisherigen Leben ausgeklinkt, um sich ganz dem Liebesrausch mit dem sehr viel jüngeren Ibo hinzugeben. Der hat im Syrien-Krieg gekämpft und bringt den gewohnten Trott seiner Geliebten so gründlich durcheinander, dass am Ende nicht nur die Erzählerin in Flammen steht.
Eine der stärksten Geschichten des Bandes ist »Datteln aus Mekka«, in der Lene erzählt. Sie ist todtraurig und erfüllt von der Angst, ihre Tochter Lynn an ihren Exfreund und seine Neue zu verlieren. Eigentlich hat sie völlig die Kontrolle über sich und ihren Alltag verloren, nur bei ihren Sprachkursen für Asylantinnen im Wilhelmsburger Bürgerhaus reißt sie sich zusammen, auch dann noch, als ihr Afife in gebrochenem Deutsch ganz unumwunden erklärt, dass alle sehen würden, wie schlecht es ihr ginge: »Eine Stimme wie Rauchkräusel, sich einschmeichelnd, vordringend ins Innerste meines Kokons, sie erreichte mich dort, wo das Weinen aufgestaut war (…).« So unterschiedlich die Frauen in diesem Sprachkurs auch sein mögen, Lenes Traurigkeit entgeht ihnen nicht, sie teilt sich über alle sprachlichen und kulturellen Barrieren hinweg mit.
Zwölf Erzählungen hat Tanja Schwarz »In neuem Licht« gruppiert, die verbindet, dass sie von Menschen erzählen, die aus der Bahn geworfen wurden, von Müttern, Kindern, Geflüchteten, von einer Familie, und am Ende sogar von einem Berg, dem »Kilimandscharo«, der seine »eisblau schimmernde Kappe« verliert. Noch nicht einmal die Natur kommt hier ungeschoren davon, obwohl es doch so leichtsinnig mit »Scharbockskraut« beginnt, mit der »wilden Malve«, dem »Odermennig« und einem Kirschbaum als »Frühsommerkathedrale«.

Tanja Schwarz, »In neuem Licht«, Hanserblau, € 22,–


29.09.2021 | Jürgen Abel
Tanja Schwarz, In neuem Licht