Thea Dorns Briefroman
Sechs Fenster zum Trost
Thea Dorn, Foto: Peter Rigaud
In ihrem vielgelobten letzten Roman »Die Unglückseligen« verknüpft Thea Dorn die Forschungen der modernen Biomedizin mit einem alten deutschen Mythos und einem Menschheitstraum: dem Faustischen Pakt und dem Traum von ewiger Jugend. Ganz im Sinn des romantischen Konzepts einer »progressiven Universalpoesie« Schlegels werden da experimentierfreudig Gattungen einmontiert und diverse Sprachstile für eine Grand Tour durch 250 Jahre Philosophie und Naturwissenschaft durchdekliniert. Im Zentrum steht die Frage nach unserem Verhältnis zum Tod, der Vergänglichkeit und dem Sterben, das nun auch der vielstimmige Briefroman »Trost. Briefe an Mark« umkreist, wobei die Fiktion durch ein einfaches literarisches Konstrukt zusammengehalten wird: Johanna, eine in Berlin lebende Kulturjournalistin, erhält sechs Postkarten von ihrem alten Philosophie-Lehrer Max, der sich im Ruhestand auf eine griechische Insel zurückgezogen hat.
Die erste dieser Postkarten zeigt den Blick aus einer Höhle auf ein Inselidyll, auf der Rückseite die knappe Frage an die »liebe Freundin«: »Wie geht es Dir?« Ähnlich kurz sind auch die Fragen der kommenden Postkarten von Max. Ob sie bei Trost sei, fragt er auf einer Postkarte, die Maria mit Kind zwischen dem Heiligen Sebastian und Johannes dem Täufer zeigt, ob es nicht auch Bescheidenheit im Schmerz gebe, will er auf einer Postkarte mit der Stoa von Attalos in Athen wissen. Johanna ist mal wütend über den »Ägäiskitsch«, dann findet sie die Motive wieder »genial« und erzählt in langen Briefen von Anfang Mai bis Ende August 2020 aus ihrem völlig aus den Fugen geratenen Leben. Nach einer leichtfertigen Reise nach Italien noch vor dem ersten Lockdown ist ihre Mutter an Covid-19 gestorben, ohne dass ihre Tochter sie noch einmal im Krankenhaus besuchen durfte. Johanna ist untröstlich, wütend, aufgebracht und enttäuscht.
In ihren Briefen an Max bietet sie ihr ganzes Wissen für einen Weg aus der Vanitas-Klage auf und findet doch kein »Fenster zum Trost«. Sie zitiert Gryphius herbei, Canetti, Nietzsche, Seneca und Adorno, aber auch Ernst Jünger und seine »Verachtung für die Schönwettergesellschaft«, sie gibt sich dem vernichtenden Gefühl der Raserei hin, zerfließt vor Trauer und durchstreift das »Berliner Nachtleben in Zeiten der Lockdown-Lockerungen«, bis sie allmählich zu Verstand kommt. In kritischen Fragen durchstreift sie die stoische Philosophie Senecas und nimmt den »Ungeist des pietistischen Materialismus« in den Blick, mit dem die tragische Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit derzeit gern über »simple Rettungskämme« geschoren wird. Am Ende findet sie zu der so erschreckenden wie profanen Erkenntnis, »dass sich das Leben nur umarmen lässt, wenn ich bereit bin, auch den Tod zu umarmen«. Wie sich das praktisch übersetzt, erfährt ihr Philosophie-Lehrer Max von einer Postkarte, auf der eine »Chaos-Truppe« von der »Isola d‘Capri« grüßt: »vorzüglichst« und »nichtsdestotrotz«. Das war in der Romanzeit im letzten Sommer. Einen einfachen Rat aus der Corona-Verzweiflung findet sich natürlich auch in Thea Dorns »Trost« nicht, aber es ist doch eine kluge und höchst lesenswerte Aufforderung zu einer differenzierten (Geistes-) Haltung in einer schwierigen Zeit.
Die kommenden Online-Lesungen mit Thea Dorn finden Sie hier: penguinrandomhouse.de
Thea Dorn, »Trost. Briefe an Max«, Pinguin, € 22,–
29.03.2021 | Jürgen Abel